Nichts
auf.
„Über Religion? Ich?!“
„Warum nicht? Ich dachte, du hast diesen Scheiß studiert!“
„Hey, hey, hey! Wieso Scheiß ?“
„Entschuldige…, war nicht so gemeint.“
„Was willst du denn wissen?“
„Keine Ahnung.“, schnaufe ich. „Irgendwas interessantes …“
Es braucht einige Meter bis ihm was eingefallen zu sein scheint.
„Was hältst du von indischen Schöpfungsmythen?“, wirft er mir dann einen Blick über die Schulter zu.
„Hört sich spannend an…“, lächle ich gezwungen.
„Okay… also, laut der indischen Schöpfungstradition ist da Shiva . Shiva tanzt die Welt. Der größte Unterschied zur christlichen Tradition übrigens, wo Gott immer noch was fremdes , eigenständiges darstellt. Shiva dagegen ist die Energie, die die Welt tanzt. Und bei diesem Tanz entsteht und vergeht, entsteht und vergeht, entsteht und vergeht was. Ein anhaltender Rhythmus.“
„Und was hat das mit Religion zu tun?“
„Nun… Shiva hat nicht zwei, sondern vier Hände. Und eine davon sagt; fürchte dich nicht! Unsere Welt ist spannend, fulminant, grandios… aber keinesfalls zum fürchten. Genau das ist der tiefere Sinn von Religion; Trost und Hoffnung.“
Moment mal. Ich werde langsamer und bleibe stehen. Was hat er da gerade gesagt?
„Was hast du da gerade gesagt?“, brumm ich.
„Bitte?“, läuft er weiter.
„Warte mal ’nen Moment!“, werde ich lauter und er stoppt, dreht sich zu mir um und kommt zurück.
„Hast du den Zettel gesehen, den ich vorhin aufs Bett gelegt hab?“
„Von weitem!“, wundert er sich.
„Du konntest darauf nichts erkennen?“
„Nein! Hätte ich sollen?“
„Nein…“, überlege ich, stoße ihn leicht auf die Seite und trabe an ihm vorbei.
„Lass’ uns weiter gehen.“
Er schaut mich an wie ein Arzt, der soeben die Bestätigung für eine Prä-Demenz Diagnose gefunden hat und nun überlegt, wie dem Patienten verklickern . Dann eilt er an meine rechte Seite, marschiert im Gleichschritt, vermeidet es endlich, mich weiter anzutreiben.
„Dann gibt es noch Vishnu , den Alldurchdringenden.“, meint er. „Er schläft auf dem Grund des Ozeans, Symbol für das unerschöpfliche, und atmet – ein und aus. Im Rhythmus seines Atems erscheint eine Lotusblume, Symbol der Anmut, Harmonie und des Universums. Der Lotus wächst langsam und durchdringt die Wasseroberfläche. Dann entfaltet sich die Blüte und es erscheint Brahma. Dieser öffnet ein Auge und die Welt entsteht, er schließt das Auge und die Welt vergeht. Das ganze macht er tausendmal. Jede einzelne Welt, die dabei entsteht, besteht ihrerseits aus Abermillionen Zeitaltern, in denen sich der Kosmos ausdehnt und wieder zusammenzieht…“
„Wie kommen die Inder darauf? Wie alt ist dieser Mythos, sagst du?“
„Oh…, ich weiß nicht. Wie alt? Fünftausend, siebentausend Jahre? Ich denke, sehr alt.“
Die Aobaynam wussten von Anfang an weit mehr, als mir de Noirbouclier verraten hat! Sind die Religionen nicht von ihnen ins Leben gerufen worden. Das hatte er doch behauptet, oder nicht? In diesem Moment sackt Robert neben mir zusammen und fällt auf sein Knie. Er zerrt an meiner Jacke und flucht: „Runter! Schnell!“
Jetzt erst kann auch ich den Grund seiner Aufregung erkennen.
Dicht über dem vor uns liegenden Hügel taucht ein Hubschrauber, nein - zwei - aus der schwarzen Wolkendecke auf. Im Tiefflug, gehetzt von zackenförmigen Lichtblitzen, donnern sie auf uns zu. Robert springt mit zwei großen Sätzen ins Gebüsch und sucht hinter einem dieser Bäume Schutz. Ohne groß nachzudenken mache ich es ihm nach.
Zwei Kampfhubschrauber, soviel kann ich durch das Gebüsch erkennen, als sie nur wenige hundert Meter schräg über uns, mit ohrenbetäubendem Lärm, vorbeirasen. Sie verfügen über keinen Passagierraum, bestehen lediglich aus zwei hintereinander angeordneten Pilotenkabinen. Wenn ich Maschinen einem Tier zuordnen sollte, so wie ich es mit den Menschen immer mach, dann kommt mir spontan die Gottesanbeterin in den Sinn. Nicht, weil wir gerade über Religion gesprochen haben, sondern weil dieses tödliche Insekt, wäre es Schwarz und siebzehn Meter lang, genauso aussehen dürfte.
„Sie haben unser Verschwinden bemerkt!“, nuschle ich.
„Du meinst, dass gilt uns?“
„Hundert Prozent!“
Robert schaut mich ratlos,
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