Nichts
scharfer Blick mir zu. Scharf vermutlich nur deshalb, weil mir seine Sehfugen keine andere Definition erlauben.
„Und Sie sind also unser lang ersehnte Wunderphysiker!“
Leicht irritiert über seine entweder provokante oder – unmöglich – ernst gemeinte Formulierung hake ich sofort nach:
„Wunderphysiker? Wenn ich mich hier so umschaue, verwechseln Sie womöglich die Fakten? Barron. Brian Barron, guten Morgen Sir! Freut mich, Sie kennen zu lernen. Wie mir scheint, haben hier nur Nobelpreisträger zutritt…, dagegen komm ich mir doch eher als Frischling denn Wunderphysiker vor.“
Er greift meine Hand und hält sie, ohne das sonst übliche schütteln, einfach nur fest. Nur ein starker Händedruck, auf den ich in dieser Form nicht vorbereitet bin.
„Mister Barron…“, sagt er mit sanfter Stimme, so als ob gerade eine Last von seinen breiten Schultern genommen wurde. „Nein! Ich verwechsle keine Tatsachen. Was zum Teufel bedeutet schon der Nobelpreis oder andere Auszeichnungen. Ich hab die Dinger hier nur aufgehängt…“, wobei er meine Hand endlich loslässt, sich seinem Schreibtischstuhl zuwendet und verächtlich auf die Diplome deutet.
„…weil ich leider keine hübschen Fotos oder bunte Kunstwerke besitze. Diesbezüglich habe ich nie einen besonderen Geschmack bewiesen. Und so hat Caroline, meine Sekretärin, vorgeschlagen, die Kiste mit den bestimmt wichtigen Zeugnissen, wie sie es nannte, aufhängen zu dürfen.“
Mit einem besinnlichen Gebrumm lässt er sich in seinen Armlehnenstuhl plumpsen und kippt die Lehne weit nach hinten. Ich erwarte jeden Moment, dass er seine Füße auf die Tischplatte legt - doch Fehlanzeige. Er behält sie beide auf dem Teppich, federt nur leicht vor und zurück – als ob er in einem Schaukelstuhl säße.
„Außerdem berührt mich die liebreizende, makellose Kunst der Mathematik viel tiefer als jedes Gemälde.“
Mit ausgestrecktem Arm zeigt er auf die ihm gegenüberliegende Wand. Ich drehe mich um, und erkenne eine dieser altmodischen, dunkelgrünen Schultafeln, welche in Wissenschaftskreisen nach wie vor und unerklärliche Weise äußerst beliebt, ja allgegenwärtig sind. Mittlerweile gibt es längst bessere, weiße Kunststofftafeln, die man mit allen möglichen Filsstiften beschreiben, aber vor allem viel besser reinigen könnte. Doch irgendwie liebt unsere Gattung müffelnden Kreidestaub an den Fingern. Die Tafel, etwa vier Meter Breit und anderthalb Meter hoch, eingebettet in ein weiteres, massiv überfülltes Bücherregal, enthält eine mathematische Gleichung. Als ich Leann vor langer Zeit mit in mein Büro genommen hatte, damals zarte dreizehn oder vierzehn Jahre jung, entdeckte sie eine ähnlich 'bekritzelte' Tafel und sagte:
Hey cool! Das sieht ja aus, als ob jemand Buchstabensuppe gegessen und dann auf die Tafel gekotzt hätte. Warst du das?
Nun, viel besser kann man eine physikalische Idee, die man versucht auf eine Tafel zu bringen, tatsächlich nicht beschreiben.
„Erkennen Sie die Formel, Mister Barron?“
Ich erachte seine Frage als Kampfansage und stehe auf, um rüber zu gehen und mir den geistigen Auswurf - ich liebe dich Leann - näher anzuschauen.
Ich brauche nicht lange, um zu erkennen, dass es sich hierbei um meine erste Theorie – damals muss ich Ende zwanzig gewesen sein – handelt. Meine erste revolutionäre Idee, sollte ich dazu sagen. Revolutionär nicht im Sinne von fortschrittlich sondern eher von aufsässig. Ich konnte – und kann mich bis heute – nicht mit so genannten Gegebenheiten abfinden. Du alter, griesgrämiger Meuterer, sagt Julie immer.
Die vor mir stehende Formel beschreibt meine riskante Umsetzung einer Idee von Bruno Pontecorvo , zum Nachweis der in einem Kernreaktor entstehenden Neutrinos mit der Reaktion 37Cl+ ν → 37Ar+e. Zu diesem Zweck baute ich am Forschungsreaktor des BNL einen viertausendliter Tank mit Kohlenstofftetrachlorid. Allerdings verliefen diese Experimente, für andere weniger doch für mich umso stärker, enttäuschend um es mal vorsichtig auszudrücken. Es stellte sich nämlich heraus, dass das favorisierte Postulat der Identität von Neutrinos und Antineutrinos falsch war - es konnte deshalb niemals ein Nachweis gelingen, da im Reaktor ausschließlich Antineutrinos erzeugt werden, während die Nachweisreaktion auf Neutrinos sensitiv ist. Im Prinzip hatte man das längst errechnet. Doch ich wollte es
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