Nick Adams Stories
daß ihre Mutter ’ne Stinkwut auf dich hat. Sie hat ’ner Menge Leute erzählt, daß ihr verlobt seid.»
«Wir waren nicht verlobt», sagte Nick.
«Es war überall rum, daß ihr’s wärt.»
«Dafür kann ich nichts», sagte Nick. «Wir waren’s nicht.»
«Wolltet ihr denn nicht heiraten?» fragte Bill.
«Ja, aber wir waren nicht verlobt», sagte Nick.
«Was ist denn der Unterschied?» fragte Bill kritisch.
«Ich weiß nicht, aber es ist ein Unterschied.»
«Ich sehe ihn nicht», sagte Bill.
«Schön», sagte Nick. «Wir wollen uns betrinken.»
«Schön», sagte Bill, «wir wollen uns richtig betrinken.»
«Wir wollen uns betrinken und dann schwimmen gehen», sagte Nick.
Er trank sein Glas auf einen Zug leer.
«Tut mir wahnsinnig leid um sie, aber was konnte ich machen?» sagte er. «Du weißt doch, wie ihre Mutter war.»
«Sie war grauenhaft», sagte Bill.
«Ganz plötzlich war’s aus», sagte Nick. «Ich sollte nicht darüber sprechen.»
«Tust du doch gar nicht», sagte Bill. «Ich hab davon gesprochen, und jetzt hab ich’s hinter mir. Wir wollen nie wieder davon reden. Du solltest gar nicht daran denken. Es könnte sonst wieder losgehen.»
Daran hatte Nick nicht gedacht. Es schien so endgültig zu sein. Das war ein Gedanke. Er fühlte sich wohler.
«Ja», sagte er, «die Gefahr besteht immer.»
Er war glücklich jetzt. Es gab nichts, was unwiderruflich war. Er konnte Sonnabend abend in die Stadt gehen. Heute war Donnerstag.
«Es besteht immer ’ne Möglichkeit», sagte er.
«Du mußt dich eben in acht nehmen», sagte Bill.
«Ich werd mich in acht nehmen», sagte er.
Er war glücklich. Nichts war zu Ende. Nichts war je verloren. Er würde Sonnabend in die Stadt gehen. Er fühlte sich jetzt leichter, als er sich gefühlt hatte, ehe Bill davon zu reden anfing. Es gab immer einen Ausweg.
«Wir wollen die Flinten nehmen und zur Landspitze runtergehen und uns nach deinem Vater umsehen», sagte Nick.
«Schön.»
Bill nahm die beiden Flinten vom Gestell an der Wand. Er öffnete eine Patronenschachtel. Nick zog seinen Mackinaw-Mantel und seine Schuhe an. Seine Schuhe waren beim Trocknen steif geworden. Er war noch ganz betrunken, aber sein Kopf war klar.
«Wie fühlst du dich?» fragte Nick.
«Famos», sagte Bill. «Ich hab grad so ’n Kleinen sitzen.» Bill knöpfte seinen Sweater zu.
«Hat keinen Sinn, sich zu betrinken.»
«Nein, wir wollen ins Freie gehen.»
Sie gingen zur Tür hinaus. Es blies eine steife Brise.
«Bei dem Sturm halten sich die Vögel alle im Gras», sagte Nick.
Sie schlugen die Richtung auf den Obstgarten ein.
«Heute früh hab ich ’n Auerhahn gesehen», sagte Bill.
«Vielleicht erwischen wir ihn», sagte Nick.
«Bei dem Wind kann man nicht schießen», sagte Bill.
Jetzt draußen war die Marge-Angelegenheit nicht mehr so tragisch. Es war nicht einmal sehr wichtig. All so was blies der Wind weg.
«Der kommt direkt vom großen See her», sagte Nick.
Gegen den Wind hörten sie den dumpfen Ton einer Flinte.
«Das ist Vater», sagte Bill. «Er ist unten im Sumpf.»
«Hier können wir abschneiden», sagte Nick.
«Laß uns lieber an der unteren Wiese abschneiden und sehen, ob wir nicht was erwischen», sagte Bill.
«Schön», sagte Nick.
Nichts von dem war jetzt wichtig. Der Wind blies es ihm aus dem Kopf. Immerhin konnte er Sonnabend abend in die Stadt gehen. Es war gut, dies in Reserve zu haben.
Menschen im Sommer
An der unbefestigten Straße, die von Hortons Bay, der Stadt, zum See hinunterführt, war auf halbem Weg eine Quelle. Das Wasser stieg in einer Tonröhre hoch, die neben der Straße eingesenkt war, plätscherte über den zersprungenen Rand der Röhre und floß durch die dicht wuchernde Minze ab in den Sumpf. In der Dunkelheit tauchte Nick den Arm in die Quelle, aber er konnte ihn nicht lange drinlassen wegen der Kälte. Er spürte an den Fingern das feine Rieseln des Sandes, der aus der Quellfassung nach oben gewirbelt wurde. Ich wollte, ich könnte da ganz hineinkriechen, dachte Nick. Das würde mir bestimmt auf die Beine helfen. Er zog den Arm heraus und setzte sich an den Straßenrand. Es war eine warme Nacht.
Weiter unten an der Straße konnte er das auf Pfählen über dem Wasser gebaute Bean-Haus weiß durch die Bäume schimmern sehen. Er hatte keine Lust, zum Anlegesteg hinunterzugehen. Da unten waren sie jetzt alle zum Schwimmen. Er hatte keine Lust, Kate zu treffen, wenn Odgar dabei war. Er konnte das Auto erkennen, auf der
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