Nick Stone - 01 - Ferngesteuert
von hier aus?« fragte er.
»Das sage ich dir lieber nicht. Leute, mit denen ich Kontakt gehabt habe, sind jetzt tot, und ich möchte nicht, daß dir auch etwas zustößt.«
»Red keinen Scheiß!« Er sah zu Kelly hinüber und
zuckte mit den Schultern. »Ich soll’s bloß nicht wissen, damit ich euch nicht verraten kann.«
»Nein, das stimmt nicht«, behauptete ich, obwohl es natürlich stimmte. »Du weißt ohnehin, was ich täte, falls du mich verrätst oder ›vergißt‹, das Geld zu schicken.«
Er zog die Augenbrauen hoch.
Ich sah ihn lächelnd an. »Ich würde dafür sorgen, daß die richtigen Leute deinen Aufenthaltsort erfahren.«
Big Al wurde sichtlich blaß; dann fing er sich wieder und grinste so breit wie nie zuvor. Er schüttelte den Kopf.
»Ich bin schon eine Weile nicht mehr im Geschäft, aber 439
ich merke, daß sich nichts verändert hat.«
Das Telefon klingelte. An der Rezeption stand ein blauer Nissan abholbereit. Sabatino unterschrieb für den Wagen und gab mir den für den Kunden bestimmten
Durchschlag, damit ich den Nissan wieder abgeben
konnte. Kelly und ich stiegen ein; Big Al blieb mit seinem Aktenkoffer auf dem Gehsteig stehen. Ich drückte auf eine Taste, um das Fahrerfenster herunterzulassen. Im Hintergrund wummerten noch immer Bässe.
»Hör zu, du kriegst ’ne E-Mail, damit du weißt, wo der Wagen abgeliefert worden ist, okay?«
Er nickte langsam. Allmählich dämmerte ihm, daß wir dabei waren, ihn zu verlassen.
»Soll ich dich irgendwo absetzen?«
»Nein, ich hab’ zu arbeiten. Vielleicht sind wir bis morgen früh reich.«
Wir gaben uns durchs offene Fenster die Hand.
Sabatino lächelte Kelly zu und sagte: »Vergiß nicht, Onkel Al in ungefähr zehn Jahren zu besuchen, junge Dame. Dann spendier ich eine Portion Eiscreme!«
Wir fuhren langsam die Atlantic Avenue entlang.
Selbst um diese Zeit herrschte noch dichter Verkehr. Die vielen Neonreklamen machten die Straßenbeleuchtung überflüssig.
Kelly saß hinten, blickte aus dem Fenster und starrte dann ins Leere, als hänge sie eigenen Gedanken nach. Ich erzählte ihr nicht, daß wir eine siebenhundert Meilen weite Autofahrt vor uns hatten.
Wenig später lag Daytona hinter uns, und wir befanden uns auf der zur Interstate führenden Fernstraße.
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Unterwegs dachte ich wieder mal über Kevs Worte am Telefon nach: »Du wirst staunen, wenn du siehst, woran ich gerade arbeite. Deine Freunde jenseits des Wassers sind fleißig gewesen.« Und er hatte gesagt: »Ich bin gerade dabei, eine neue Sache ins Rollen zu bringen, und wüßte gern, was du davon hältst.« Hieß das, daß Kev mit seinem Boß gesprochen hatte? Hatte sein Boß ihn
daraufhin zum Schweigen bringen lassen? Aber über einen Korruptionsverdacht hätte Kev bestimmt mit
keinem Menschen bei der DEA gesprochen. Wen, zum
Teufel, hatte er also angerufen?
Ich hatte wertvolle PIRA-Unterlagen erbeutet, die ich nur teilweise verstand, aber vielleicht hatte Kev mehr Material in der Hand gehabt. Je mehr Informationen ich zusammentragen konnte, desto besser war meine
Verhandlungsposition in einem Gespräch mit Simmonds
– deshalb war ich wieder nach Washington unterwegs.
Sobald wir auf der Interstate 95 waren, schaltete ich den Tempomaten ein und ließ mein Gehirn im Leerlauf
arbeiten.
Wir fuhren durch die Nacht, und ich hielt nur, um zu tanken und mich mit Koffein zu dopen, damit ich nicht am Steuer einschlief. Ich kaufte ein paar Flaschen Cola, um meinen Koffeinspiegel zu halten und Kelly ein
Getränk anbieten zu können, falls sie aufwachte.
Bei Tagesanbruch war zu erkennen, daß die
Landschaft sich verändert hatte, was deutlich zeigte, daß wir nach Norden in ein gemäßigteres Klima unterwegs waren. Dann ging die Sonne als riesige feuerrote Kugel 441
halb rechts vor mir auf, und meine Augen begannen zu brennen.
Wir hielten an einer weiteren Tankstelle. Diesmal bewegte sich Kelly. »Wo sind wir?« fragte sie gähnend.
»Keine Ahnung.«
»Okay, wohin fahren wir?«
»Das ist eine Überraschung.«
»Erzähl mir von deiner Frau.«
»Das ist alles schon so lange her, daß ich mich kaum erinnern kann.«
Ich sah in den Rückspiegel. Kelly war wieder auf dem Sitz zusammengesunken, als sei sie zu müde, um das angeschnittene Thema zu verfolgen. Oder vielleicht litt sie unter tödlicher Langweile. Wer hätte ihr das verübeln können?
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Ich wollte mich in Kevs Haus umsehen, um festzustellen, ob dort weiteres Material zu finden war – am besten
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