Nick Stone - 01 - Ferngesteuert
die Transporte über Gibraltar plötzlich eingestellt.«
»Wieso?« Ich hatte Mühe, äußerlich unbewegt zu
bleiben.
Er zuckte mit den Schultern. »Mit den Einheimischen hat’s Streit gegeben, glaub’ ich. Soviel ich weiß, transportieren sie den Stoff jetzt über Südafrika zur spanischen Westküste. Dort drüben stecken sie mit anderen Terroristen unter einer Decke.«
»ETA?«
»Keine Ahnung. Irgendwelche einheimischen
Terroristen oder Freiheitskämpfer. Nenn sie, wie du willst – für mich sind sie alle nur Dealer. Jedenfalls helfen sie jetzt den Iren. Raoul ist bestimmt in die Staaten gekommen, um in Verhandlungen mit Daddys Boß zu
erreichen, daß die Route nach Florida für die Iren geöffnet bleibt, denn sonst hätten die Kolumbianer sie anderweitig vergeben.«
»Hey, das klingt so, als würden Flugstrecken oder dergleichen zugeteilt.«
Big Al zuckte wieder mit den Schultern. »Natürlich.
Geschäft ist Geschäft.« Er tat so, als seien das allgemein bekannte Tatsachen. Für mich war das alles neu.
Mit wem, zum Teufel, hatte die PIRA in Gibraltar
gesprochen? Waren diese Leute dort gewesen, um zu versuchen, die Drogentransporte in Gang zu halten? Mir fiel plötzlich ein, daß Sir Peter Terry, der den Kampf 433
gegen den Drogenschmuggel forciert hatte und bis
Anfang 1988 Gouverneur von Gibraltar gewesen war, im September 1988 nur knapp einem Mordanschlag
entgangen war. Sollte der vierte Mann auf diesem Bild vielleicht eine ähnliche Warnung erhalten? Und gab es irgendeinen Zusammenhang zwischen der plötzlichen Einstellung sämtlicher Drogentransporte und der einige Monate zurückliegenden Erschießung von PIRA-Aktivisten?
Jedenfalls bestätigte das alles, daß einige DEA-
Angehörige, darunter auch Kevs Boß, sich äußerst
verdächtig benommen hatten. War Kev vielleicht
dahintergekommen, daß sie von der PIRA einen
Gewinnanteil erhielten?
Big Al sog wieder Luft durch die Zähne ein. »Das
nenne ich brisante Unterlagen, Mann! Wen willst du damit erpressen?«
»Erpressen?«
»Nicky, du hast hier einen Mann aus der DEA-
Führungsspitze, der mit wichtigen Vertretern des
Drogenkartells spricht, und irische Terroristen im Gespräch mit Regierungsvertretern, hohen
Polizeibeamten oder sonst wem in Gibraltar. Willst du mir etwa weismachen, daß mit diesen Aufnahmen
niemand erpreßt werden soll? Unsinn! Hast du nicht vor, sie zu verwenden, werden die Leute, die diese
Schnappschüsse gemacht haben, sie jedenfalls dazu benutzen.«
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Wir gingen sämtliche Aufnahmen nochmals durch. Kelly erkannte sonst niemanden mehr.
Ich fragte Sabatino, ob es eine Möglichkeit gebe, die Photos klarer darzustellen.
»Wozu? Du scheinst doch alle Leute zu kennen.« Das stimmte, aber ich wollte, daß Kelly sich Daddys Boß genauer ansehen konnte.
Dann schwiegen wir ein paar Minuten, während wir
uns einzelne Aufnahmen erneut ansahen.
»Was weißt du sonst noch über Gibraltar?« fragte ich.
»Nicht viel. Was willst du mehr wissen?« Er paffte längst seine zweite Zigarre, und Kelly wedelte die zu ihr hinübertreibenden Rauchschwaden weg. »Das Geschäft bietet sich an: Wer genug Geld hat, schließt einen Deal mit den Kolumbianern und schmuggelt den Stoff nach Europa. Das tun alle möglichen Gangsterbanden – warum also nicht auch eure irischen Jungs?«
Big Al betrachtete mich so gelassen, als seien wir auf etwas völlig Alltägliches gestoßen. Und ich mußte zugeben, daß das alles keine wirkliche Erklärung für den Mord an Kev und seiner Familie zu sein schien.
Mein Schweigen dauerte Sabatino zu lange; er mußte wieder etwas sagen. »Jedenfalls hat’s hier jemand eindeutig auf Erpressung abgesehen.«
Nicht unbedingt, überlegte ich mir. Vielleicht war das eine Art Rückversicherung für die PIRA. Wenn Kevs Boß oder ihre Partner in Gibraltar nicht mehr mitspielen wollten, konnten diese Aufnahmen dafür sorgen, daß sie 435
weitermachten.
Ich sah zu Kelly hinüber. »Tust du uns bitte einen Gefallen? Holst du uns ein paar Dosen Cola?«
Sie war sichtlich froh, aus dem Qualm
herauszukommen. Ich ging mit ihr zur Tür und zog den Vorhang zurück, um die Getränkeautomaten sehen zu können. Der lange Balkon war leer; die Tür zum Zimmer der Jungs war geschlossen, aber Rapmusik wummerte weiter durch die papierdünnen Wände; drinnen gaben die Cheerleader vermutlich eine Sondervorstellung. Ich beobachtete Kelly, bis sie die Getränkeautomaten erreicht hatte; dann setzte ich mich auf die
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