Nick Stone - 01 - Ferngesteuert
sah. »Milchshake?«
Ich fühlte eine schwache Kopfbewegung, die ich
zweckmäßigerweise als Nicken deutete. Das war nicht viel, aber immerhin eine Reaktion.
Ich redete weiter auf sie ein. »Gut, dann bleibst du einfach hier sitzen. Ich steige aus, sperre das Auto ab und hole die Milchshakes. Und danach, hör zu, gehen wir drüben ins Einkaufszentrum. Wie findest du das?«
Sie sah weg.
Trotzdem machte ich weiter, als habe sie allem
zugestimmt. Ich stieg aus und sperrte sie im Wagen ein.
In meinem Hosenbund steckte, von Kevs Jacke verdeckt, noch immer die Pistole.
Ich ging in den Burger King, kaufte zwei verschiedene Milchshakes und kam sofort zum Auto zurück.
»Also, du hast die Wahl – Schokolade oder Vanille?«
Ihre Hände blieben neben den Oberschenkeln liegen.
»Okay, dann nehme ich Vanille; ich weiß, daß du
Schokolade magst.«
Ich stellte ihr den Plastikbecher in den Schoß. Sein Inhalt war für ihre Beine zu kalt, und als Kelly danach griff, sagte ich rasch: »Komm, wir gehen zu den
Geschäften rüber. Den Becher kannst du mitnehmen.«
Ich ließ sie aussteigen, schloß die Tür und sperrte den 89
Wagen ab. Ich versuchte nicht einmal, etwas gegen unsere Fingerabdrücke zu tun; selbst wenn ich mir die größte Mühe gegeben hätte, wären nicht alle zu entfernen gewesen – wozu also damit anfangen? Ich öffnete den Kofferraum, holte die Reisetasche mit den
Toilettenartikeln heraus, die ich in Shannon gekauft hatte, und stopfte den Müllsack mit meinen
blutgetränkten Kleidungsstücken hinein.
Es sah nach Regen aus. Während wir über den
Parkplatz zum Einkaufszentrum gingen, redete ich weiter mit Kelly, weil mir die Situation peinlich war. Was soll man schließlich anderes tun, wenn man neben einem kleinen Mädchen hergeht, das nicht zu einem gehört und nicht mit einem Zusammensein will?
Ich versuchte Kelly an der Hand zu nehmen, aber sie entzog sie mir. Da wir unter Leuten waren, konnte ich nicht einmal anfangen, mit ihr darüber zu diskutieren.
Also begnügte ich mich damit, sie wieder an der Schulter von Kevs Jackett festzuhalten.
In diesem Einkaufszentrum gab es von einem
Computer-Discounter bis zu einem Geschäft für
ausgemusterte Militärartikel alles, was das Herz begehrte.
Wir gingen in ein Textilgeschäft, in dem ich mir Jeans und ein Hemd kaufte. Ich würde mich umziehen, sobald ich geduscht und mir Aidas Blut von Beinen und Rücken gewaschen hatte.
An einem Geldautomaten hob ich dreihundert Dollar ab – den Höchstbetrag, den ich mit meiner Kreditkarte bekommen konnte.
Dann traten wir wieder auf den Parkplatz hinaus, aber 90
ich ging nicht zu dem Leihwagen zurück. Ich ließ meine Hand auf Kellys Schulter, während ich sie über die Straße zu dem Hotel führte.
6
Als wir näher herankamen, konnte ich sehen, daß das Best Western in Wirklichkeit durch eine lange Reihe ebenerdiger Bürogebäude von der mehrspurigen Straße getrennt war. Was wir vor uns hatten, war die Rückseite des Hotels.
Ein kurzer Blick nach beiden Seiten zeigte, daß die Kreuzungen, die zur Vorderfront des Hotels geführt hätten, meilenweit entfernt waren. Deshalb beschloß ich, den kürzesten Weg zu nehmen. Aber der Verkehr war lebhaft, und das hiesige Straßensystem war nicht für Fußgänger ausgelegt. Straßenbreite und
Verkehrsaufkommen entsprachen ungefähr dem einer
englischen Autobahn, aber hier gab es immerhin
Verkehrsampeln, die Lücken im Autostrom entstehen ließen. Ich hielt Kelly an der Hand, als wir zum
Mittelstreifen hinüberrannten und auf eine weitere Verkehrslücke warteten. Ich sah zum Himmel auf;
bleigraue Wolken kündigten baldigen Regen an.
Autofahrer, die vermutlich noch nie Fußgänger
gesehen hatten, hupten wütend, aber wir erreichten die andere Straßenseite, kletterten über ein niedriges Schutzgeländer und standen auf dem Gehsteig. Mehr oder weniger genau vor uns befand sich eine Lücke 91
zwischen zwei Bürogebäuden. Wir gingen hindurch und überquerten ein schmales unbebautes Grundstück, um auf den Hotelparkplatz zu gelangen. Als wir an den dort geparkten Autos vorbeigingen, merkte ich mir die
Buchstaben und Ziffern für ein Kennzeichen aus
Virginia.
Das Best-Western-Hotel war ein großer rechteckiger Klotz mit drei Stockwerken in der typischen Architektur der achtziger Jahre. Es war in einem widerlichen
Gelbgrün gestrichen. Als wir uns der Rezeption näherten, versuchte ich zu erkennen, ob uns jemand auffällig beobachtete. Ich wollte nicht,
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