Nick Stone - 01 - Ferngesteuert
daß uns jemand vom Parkplatz ins Hotel kommen sah, weil es merkwürdig gewesen wäre, so weit zu Fuß zu gehen, ohne erst zu fragen, ob sie ein Zimmer für uns hatten, und
anschließend unser Gepäck zu holen. Ich konnte nur hoffen, daß Kelly den Mund halten würde, solange wir in der Hotelhalle waren; ich würde uns möglichst rasch anmelden und wieder hinausgehen, als wollten wir zu Mummy, die im Auto wartete.
In der Hotelhalle ließ ich ihre Schulter los und
flüsterte: »Du bleibst hier sitzen, okay? Ich besorge uns ein Zimmer.« Ich gab ihr einen Touristenprospekt, der auf einem der Sessel lag, aber sie ignorierte ihn.
In einer Ecke neben der Kaffeemaschine stand ein
Großbildfernseher, in dem ein Footballspiel lief. Ich ging zu der Empfangsdame, einer Mittvierzigerin, die
anscheinend glaubte, sie sei noch vierundzwanzig; sie verfolgte das Spiel und stellte sich wahrscheinlich vor, wie es wäre, einen der Quarterbacks als Freund zu haben.
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»Ich bräuchte ein Familienzimmer für eine Nacht«, erklärte ich ihr lächelnd.
»Gewiß, Sir«, antwortete sie. Offenbar hatte sie die Charmeschule der Hotelkette Best Western mit
Auszeichnung bestanden. »Würden Sie bitte diese Karte ausfüllen?«
Während ich zu schreiben begann, fragte ich: »Wieviel kostet ein Zimmer überhaupt?«
»Vierundsechzig Dollar plus Steuern.«
Ich zog die Augenbrauen hoch, als sei das eine Menge Geld für einen Familienvater wie mich.
»Ich weiß«, sagte sie lächelnd. »Tut mir leid, aber billiger geht’s nicht.«
Sie zog meine Kreditkarte durch das Lesegerät, und ich kritzelte inzwischen allen möglichen Scheiß auf die Anmeldekarte. Darin hatte ich jahrelange Übung: Ich wirkte völlig entspannt, während ich schrieb, obwohl ich in Wirklichkeit ungefähr vier Felder weit vorauslas. Ich füllte auch eine Karte für meinen Wagen aus, gab ein erfundenes Kennzeichen aus Virginia an und trug als Anzahl der Insassen zwei Erwachsene und ein Kind ein.
Sie gab mir die Kreditkarte zurück. »Bitte sehr, Mr.
Stamford – Sie haben Zimmer zwo-zwo-vier. Wo steht Ihr Wagen?«
»Gleich dort drüben.« Ich deutete vage in Richtung Hotelparkplatz.
»Okay, wenn Sie an dem Aufgang parken, an dem
zwei Cola- und Eisautomaten stehen, gehen Sie die Treppe hinauf und haben Nummer zwo-zwo-vier links vor sich. Einen recht schönen Tag noch!«
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Ich hätte unser Zimmer beschreiben können, noch
bevor ich die Codekarte ins Schloß steckte und die Tür öffnete – Fernseher, zwei Doppelbetten, vier Sessel und die typische Vorliebe amerikanischer Hoteldesigner für dunkle Holzfurniere.
Ich wollte, daß Kelly sich hier rasch heimisch fühlte, damit ich telefonieren konnte. Ich schaltete den Fernseher mit der Fernbedienung ein und suchte die Kanäle ab, weil ich hoffte, irgendwo Nickelodeon zu finden. Schließlich fand ich eine Sendung mit Zeichentrickfilmen. »Ah, den kenne ich, der ist gut – wollen wir ihn uns miteinander ansehen?«
Kelly saß auf dem Bett und starrte mich an. Ihr
Gesichtsausdruck ließ erkennen, daß ihr dieser Ausflug nicht sonderlich gefiel, und ich konnte ihr das nicht verübeln.
»Kelly«, sagte ich, »ich lasse dich jetzt für ein paar Minuten allein, weil ich telefonieren muß. Ich bringe auch etwas zu trinken mit. Was willst du? Cola?
Mountain Dew? Oder möchtest du etwas Süßes?«
Als sie nicht reagierte, sprach ich einfach weiter. »Ich sperre die Tür ab, und du machst keinem Menschen auf, verstanden? Ich habe den Schlüssel, mit dem ich mir selbst aufschließen kann. Du bleibst hier und siehst dir den Zeichentrickfilm an. Ich bin in spätestens fünf Minuten wieder da.«
Noch immer keine Reaktion. Ich hängte das Schild
Bitte nicht stören außen über den Türknopf, überzeugte mich davon, daß ich meine Codekarte für die Zimmertür eingesteckt hatte, und ging.
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Ich wollte zu den Telefonzellen, die ich an der Straße gesehen hatte, weil Kelly das Gespräch, das ich führen würde, nicht mithören sollte. Ich verstand nicht viel von Kindern, aber ich wußte noch, daß mir mit sieben Jahren nichts entgangen war, was in unserem Haus passierte.
Obwohl Kevs Mobiltelefon vermutlich nicht ohne PIN
funktionierte, nahm ich das Telefon aus seiner
Jackentasche und schaltete es ein. Als es die PIN
verlangte, versuchte ich es mit der üblichen
Fabrikeinstellung 0-0-0-0 und dann mit 1-2-3-4. Nichts.
Mehr Versuche hatte ich nicht, denn bei vielen Telefonen brauchte man nach drei Falscheingaben eine
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