Nick Stone - 01 - Ferngesteuert
das Wort
»Disneyland!« riefen, wußten die Kinder, daß sie
weglaufen und sich dort verstecken mußten – und daß sie erst wieder herauskommen durften, wenn Mummy oder Daddy sie holten.
Ich sperrte die Verbindungstür zwischen Küche und Garage wieder auf. Als ich die Tür einen Spalt weit öffnete, sah ich rechts vor mir die Innenseite der geschlossenen Schwingtore. In der riesigen Garage hätten außer Kevs Dienstwagen leicht drei weitere Autos Platz gehabt. »Eigentlich Scheiße«, hatte Kev einmal gesagt, als wir über seinen Caprice Classic geredet hatten, »aller Luxus und technischer Fortschritt der späten Neunziger steckt in einem Wagen, der wie ein Kühlschrank aus den Sechzigern aussieht.«
Die Fahrräder der Mädchen hingen an
Wandhalterungen, und die freien Flächen waren teilweise mit allem möglichen Krempel zugestellt, der sich bei allen Familien in der Garage ansammelt. Ich konnte den roten Laserpunkt an der gegenüberliegenden Wand
erkennen.
Ich trat in die Garage und durchsuchte sie. Auch hier war niemand.
Zuletzt stand ich wieder seitlich vor der Treppe.
Obwohl Kelly vermutlich nur herauskam, wenn sie
Mommys oder Daddys Stimme hörte, rief ich halblaut:
»Kelly! Ich bin’s … Nick! Hallo, Kelly, wo bist du?«
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Dabei hielt ich meine Pistole schußbereit, um auf jede Bedrohung reagieren zu können.
Ich näherte mich langsam den großen Pappkartons, mit denen der Raum unter der Treppe verstellt war. »Na gut, wenn du nicht da bist, gehe ich wieder. Aber erst sehe ich mich noch mal um, und ich wette, daß du dich in deinem Disneyland versteckt hast. Ich sehe einfach mal nach …
bestimmt bist du dort drinnen …«
Dann stand ich vor den aufgestapelten Pappkartons.
Einer hatte eine Kühl-Gefrier-Kombination enthalten, in einem weiteren war die Waschmaschine geliefert
worden. Kev hatte diese beiden und andere aufgestapelt, um den Eingang des Kinderverstecks unter der Treppe zu tarnen.
Ich steckte die Pistole in meinen Hosenbund. Kelly sollte keine Waffe sehen. Sie hatte wahrscheinlich schon zuviel gehört und gesehen.
Ich sprach in den kleinen Spalt zwischen den
Pappkartons. »Kelly, ich bin’s – Nick. Hab’ keine Angst.
Ich krieche jetzt zu dir rein. Du siehst gleich meinen Kopf auftauchen, und dann möchte ich ein frohes
Lächeln sehen …«
Ich ließ mich auf Hände und Knie nieder und sprach halblaut weiter, während ich den Spalt etwas vergrößerte und hindurchkroch. Ich wollte nichts überstürzen.
Schließlich wußte ich nicht, wie sie reagieren würde.
»Gleich stecke ich meinen Kopf um die Ecke, Kelly.«
Ich holte tief Luft und streckte meinen Kopf vorsichtig um die Ecke des großen Kartons – lächelnd, aber aufs Schlimmste gefaßt.
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Kelly starrte mich mit vor Entsetzen geweiteten Augen an, hockte in fetaler Position zusammengekrümmt da, wiegte ihren Oberkörper langsam vor und zurück und hielt sich mit beiden Händen die Ohren zu.
»Hallo, Kelly«, sagte ich leise.
Sie mußte mich erkannt haben, aber sie gab keine
Antwort. Sie wiegte sich weiter vor und zurück und starrte mich mit großen, dunklen Augen an.
»Mummy und Daddy können gerade nicht kommen,
um dich hier rauszuholen, aber du kannst mit mir
kommen. Daddy hat gesagt, daß das in Ordnung ist.
Kommst du mit mir, Kelly?«
Noch immer keine Antwort. Ich kroch ganz in die
Höhle hinein, bis ich zusammengekauert neben Kelly hockte. Sie hatte geweint, die Strähnen ihres hellbraunen Haars klebten an ihrem Gesicht. Ich versuchte, sie mit einer Hand von ihrem Mund wegzustreichen. Ihre
geschwollenen Augen waren gerötet.
»Na, du siehst ja ziemlich schlimm aus«, sagte ich.
»Soll ich dir helfen, ein bißchen sauberer zu werden?
Komm, wir gehen und bringen das wieder in Ordnung, ja?« Ich ergriff ihre Hand und zog sie sanft in die Garage hinaus.
Sie trug Jeans, Sportschuhe, ein Jeanshemd und
darüber einen blauen Nylonblouson. Ihr glattes Haar war knapp schulterlang, etwas kürzer, als ich es in Erinnerung hatte, und sie war für eine Siebenjährige ziemlich schlaksig, mit langen, dünnen Beinen. Ich nahm sie in die Arme und drückte sie an mich, während ich sie in die Küche trug. Da alle Türen geschlossen waren, würde sie 82
Kev nicht sehen können.
Ich setzte sie auf einen Stuhl am Küchentisch.
»Mummy und Daddy haben gesagt, daß sie für einige Zeit verreisen müssen, und mich gebeten, auf dich aufzupassen, bis sie zurückkommen, okay?«
Sie zitterte so heftig, daß
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