Nick Stone - 01 - Ferngesteuert
bestellte ich mir einen Leihwagen, um Kelly nach dem Treff mit Simmonds in Breconshire abholen zu können, und aß eine Kleinigkeit. In Gedanken spielte ich durch, was ich zu Simmonds sagen würde - und wie ich es sagen würde. Ich besaß zweifellos genau die Beweise, die Simmonds verlangt hatte. Daß ich die Videobänder, die ein zusätzliches Beweismittel gewesen wären, nicht hatte, war bedauerlich, aber trotzdem war mein Material eigentlich besser, als er hätte erwarten können. Schlimmstenfalls mußte ich jetzt damit rechnen, arbeitslos auf der Straße zu landen. Zum Glück hatte ich wenigstens das Startkapital für ein neues Leben.
Ich dachte an Kelly. Was würde aus ihr werden? Wer würde sich ihrer annehmen? Wie sehr hatte ihr geschadet, was sie erlebt und gesehen hatte, was ihr und ihren Angehörigen zugestoßen war? Ich versuchte mir einzureden, für alles würde sich irgendeine Lösung finden lassen ... irgendwie. Dabei konnte Simmonds helfen. Vielleicht konnte er die Zusammenführung mit ihren Großeltern arrangieren oder mir zumindest Hinweise geben, wohin ich mich wenden mußte, damit ihr von Fachleuten geholfen wurde.
Ich versuchte zu schlafen, tat aber kein Auge zu. Um drei Uhr morgens holte ich meinen Leihwagen vom NCP-Parkplatz und fuhr in Richtung Vauxhall Bridge.
Ich machte einen weiten Umweg, fuhr die ganze King’s Road bis World’s End hinunter, bog dann in Richtung Themse ab und fuhr wieder nach Osten, weil ich meine Gedanken zum letzten Mal ordnen wollte, aber auch weil diese Fahrt das menschenleere Embankment mit seinen historischen, nachts angestrahlten Gebäuden entlang für mich eine der schönsten Aussichten der Welt bot. Besonders in dieser Nacht schienen die Scheinwerfer etwas heller zu leuchten und die Brücken noch klarer hervorzutreten, so daß ich mir wünschte, Kelly säße neben mir und könnte diesen Anblick genießen.
Ich erreichte die Vauxhall Bridge frühzeitig und fuhr auf der Uferstraße nach Osten in Richtung Lambeth Bridge weiter. Der Treff wirkte beim Vorbeifahren unverdächtig. In der Tankstelle auf der gegenüberliegenden Straßenseite standen vier Autos von jungen Leuten, die Benzin und Schokoriegel kauften, und der Kastenwagen einer Firma für Gebäudereinigung, dessen Fahrer ebenfalls tankte.
Weiter flußabwärts sah ich auf dem anderen Ufer die Parlamentsgebäude. Ich mußte unwillkürlich grinsen.
Wenn die Abgeordneten nur wüßten, was die Geheimdienste wirklich trieben! In den Fernsehnachrichten hieß es, wir würden wohl bald eine neue Regierung bekommen. Allerdings würde ich nicht mitwählen dürfen. Ich existierte schon seit Jahren nicht mehr offiziell als Stone, Stamford, Stevenson oder sonst jemand.
Ich fuhr einmal um einen Verkehrskreisel herum und folgte derselben Straße in Richtung Vauxhall Bridge, um den Treff erneut zu kontrollieren. Da ich noch immer zu früh dran war, hielt ich an der Tankstelle und holte mir einen Becher Kaffee und ein Sandwich.
Der Treff schien noch immer in Ordnung zu sein. Ich wollte Simmonds abfangen, ihn auf Umwegen zu meinem Wagen führen und eine kleine Spazierfahrt mit ihm machen. Auf diese Weise hatte ich alle äußeren Umstände unter Kontrolle. Ich konnte mich selbst, aber auch ihn schützen.
Ich parkte ungefähr vierhundert Meter westlich des Treffs. Während ich das Sandwich aß, überlegte ich die Route zu meinem Auto zurück. Dann stieg ich aus, ging die Straße entlang und war um fünf vor vier da. Um mir die Wartezeit zu verkürzen, sah ich mir die in dem Bike- Shop ausgestellten Motorräder an und beschloß, mir wirklich eines als Geschenk für mich selbst zu kaufen. Nein, nicht bloß als Geschenk - als Belohnung.
Um 4 Uhr 20 trat ich in die Schatten unter dem Eisenbahnhochgleis gegenüber dem Ausgang, den Simmonds benutzen würde. Die einzigen Fußgänger um diese Zeit waren zwei Clubbesucher, die auf dem
Heimweg oder in einen anderen Club unterwegs waren. Ihr betrunkenes Gelächter zerriß die ruhige Morgenluft, dann herrschte wieder Stille.
Ich sah sofort, daß er es war, denn ich kannte seine Art, mit leicht vorgebeugtem Kopf und kleinen Schritten zu gehen und dabei seinen Aktenkoffer zu schlenkern. Ich beobachtete, wie er sich nach rechts wandte, um erst den Fußgängerüberweg und dann die stählerne Fußgängerbrücke zu benutzen, die über eine Kreuzung mit fünf Straßen hinweg zur Bahnstation führte. Ich wartete geduldig. Ich hatte es nicht eilig; er würde zu mir kommen.
Als er die
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