Nick Stone - 02 - Doppeltes Spiel
zurück. Ich stand auf, hielt Sarah meine Hand hin und zog sie hoch. Wir trabten parallel zur Straße weiter. Schon zwei bis drei Minuten später hörte ich ein Auto; ich duckte mich und beobachtete, wie es mit Abblendlicht, angelaufenen Scheiben und eifrig arbeitenden Scheibenwischern durch die Schlaglöcher platschte. Sobald es außer Sicht war, richteten wir uns auf und rannten weiter.
Das nächste Fahrzeug war ein Langholzlaster; seine
Zwillingsreifen versanken in einem riesigen Schlagloch und ließen einen Wasserschwall aufspritzen, der uns beinahe noch erfasste. Anscheinend verkehrte hier etwa alle fünf Minuten irgendein Fahrzeug. Die meisten fuhren in unsere Richtung, was ein gutes Omen war. Ich wusste nicht, weshalb ich das dachte, aber es kam mir so vor.
Nach etwa zwei Kilometern tauchten vor uns auf der anderen Straßenseite Lichter auf. Als wir näher herankamen, sah ich, dass es eine Tankstelle war, zu der auch ein kleiner Gemischtwarenladen mit Lebensmittelabteilung gehörte, für die eine große orangerote Leuchtreklame warb. Vor der ebenerdigen kleinen Halle mit Betonbindern und Bitumendach standen drei Zapfsäulen unter einem hohen Blechdach, das auf zwei Stahlpfeilern ruhte. Als Neubau Ende der sechziger oder Anfang der siebziger Jahre mochte das alles topmodern gewesen sein, aber jetzt löste die längst grau gewordene weiße Farbe sich ab, und das ganze Gebäude schien von innen heraus morsch zu sein. Ich wusste genau, wie einem dabei zu Mute war.
Über den drei Schaufenstern an der Vorderfront des Gebäudes verkündeten erhabene rote Buchstaben, dass dieser Laden Happy Beverage & Grocery hieß. Verblasste Plakate warben für Kaffee und Corn Dogs, Marlboro und Miller Lite. Diese kleinen Läden, die im Gegensatz zu den Filialen großer Ladenketten reine Familienbetriebe waren, glichen sich wie ein Ei dem anderen. Ich wusste genau, wie es darin riechen würde: nach einer Mischung aus Pappkarton und Getreidekaffee, zu der noch der Duft von Corn Dogs kam, die sich in ihrem Glasbackofen drehten. Alles natürlich von kräftigen Zigarettenrauchschwaden überlagert. Der dominierende
Geräuscheffekt würde das Summen von überlasteten Kühlschränken sein.
Selbst die Zapfsäulen auf dem Vorplatz stammten noch aus den frühen Siebzigern. Dieser Laden befand sich in stetigem Niedergang; vor dreißig Jahren mochte das Geschäft ganz gut gegangen sein, aber seither wurden für die wachsende Bevölkerung von North Carolina Autobahnen gebaut, und die Verkehrsströme hatten sich verlagert. Das Happy Beverage & Grocery sah aus, als sei es bereits Geschichte.
Ich machte schräg gegenüber der Leuchtreklame Halt und ging in Deckung. Als Sarah zu mir aufschloss, wies ich sie an, hier auf mich zu warten, und kroch bis zum Straßenrand vor. Ich hatte richtig vermutet: Durch die Schaufenster waren Regale mit Packungen zu erkennen, die alles Mögliche von Oreos bis Cheerios enthielten, und dahinter standen Kühlschränke mit Glastüren, die zu weniger als einem Viertel mit Milchtüten und Coladosen gefüllt waren. Auf einer Warmhalteplatte dampfte eine große Glaskanne mit Kaffee neben aufgestapelten Styroporbechern, die es in mittelgroß und ganz groß gab - je nachdem, wie wach man werden wollte. Verlangte man Sahne, gab es Kaffeeweißer.
So viel ich erkennen konnte, war der Laden, der auch als Tankkasse diente, nur mit einer fülligen Mittdreißigerin besetzt. Da sie hinter der Theke saß, konnte ich lediglich die obere Hälfte ihres Körpers sehen; sie hatte wasserstoffblondes Haar, das sehr stark toupiert war und wahrscheinlich eine Dose Haarspray pro Tag benötigte; seine Besitzerin musste zu den Südstaatlerinnen gehören, von denen in der Rundfunkwerbung die Rede gewesen war. Ihr T-Shirt gehörte vermutlich ihrer Tochter, so knalleng saß es. Die untere Hälfte ihres Körpers konnte ich nicht sehen, aber sie trug bestimmt Leggings, die mindestens zwei Nummern zu klein waren. Sie aß einen Corn Dog, blätterte in einem Magazin und schaffte es irgendwie, dabei auch noch zu rauchen.
Ich kroch zu Sarah zurück.
»Können wir uns dort einen Wagen besorgen?«, fragte sie.
»Noch nicht. Sie scheint keinen zu haben.«
Hinter dem Laden verlief eine weitere schmale Straße, die T-förmig auf die stieß, an der wir lagen. An dieser Einmündung interessierte mich nur, dass dort vermutlich Wegweiser standen.
Wir machten uns auf den Weg dorthin. Die Leuchtreklame spiegelte sich auf dem regennassen Asphalt und der
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