Nick Stone - 02 - Doppeltes Spiel
mir bewusst, dass ich hier nur Zeit zu gewinnen versuchte. Ich hasste diesen Teil meiner Verantwortung; ich hasste es, Kelly ebenso zu enttäuschen, wie ich immer wieder enttäuscht worden war.
»Großes Ehrenwort!«, sagte ich. »Dann können wir besprechen, was wir machen, wenn du Ferien hast. Du wirst schon sehen, ich mache alles wieder gut!«
Kelly studierte mein Gesicht und versuchte abzuschätzen, wie gut die Chancen standen, dass ich ihr einen großen Wunsch erfüllte. »Muss ich wirklich zu Granny und Grandad?«
Ich konnte mir vorstellen, wie ihr zu Mute war. Sie hatte mir erzählt, dass sie bei Carmen und Jimmy die meiste Zeit damit verbrachte, ihr Sweatshirt wieder aus ihren Jeans zu ziehen, nachdem Carmen es hineingesteckt hatte, »um die Kälte abzuhalten«. Ich wäre auch nicht gern bei den beiden gewesen, aber ich sagte: »Keine Angst, du kommst schon mit ihnen zurecht. Ich rede mit ihnen und frage, ob sie Lust haben, mit dir ins Aquarium zu den Haien zu fahren, von denen wir geredet haben.«
Kelly warf mir einen Blick zu, der mir zeigte, dass sie wusste, dass aus diesem Ausflug ins Aquarium nichts werden würde. Da sie Recht hatte, sprach ich rasch weiter: »Aber auf keinen Fall sollen sie mit dir in den Bloody Tower fahren - den besichtigen wir gemeinsam, okay?«
Sie nickte langsam. Ich setzte meinen Blinker, um von der M23 auf die Zufahrtsstraße zum Flughafen abzubiegen.
Wegweiser führten uns zum North Terminal, und ich steuerte den Besucherparkplatz an. Kelly gegenüber behielt ich meinen künstlich aufgeregten Tonfall bei. »Pass auf, wir sehen mal nach, ob Granny und Grandad schon da sind, okay? Sind sie noch nicht da, gehen wir irgendwas essen. Hast du schon Hunger?« Das würde Carmen zufrieden stellen.
Kelly schwieg, aber der Blick, den sie mir beim Aussteigen zuwarf, sagte deutlich genug: Spar dir den Scheiß, Blödmann, mir steht’s bis hier oben ... Sie wusste nur allzu gut, dass sie abgeschoben wurde, und ich sollte merken, dass sie das wusste. Ich nahm ihre Hand in die eine und ihre Reisetasche in die andere Hand, weil hier dichter Verkehr herrschte, und marschierte mit ihr zum North Terminal hinüber.
Ich hatte vereinbart, dass wir uns im Costa Coffee Shop treffen würden. Der war leicht zu finden - sogar für diese beiden.
Ich sah auf meine G-Shock, die ich mir als Ersatz für die verlorene Armbanduhr gekauft hatte. Diesmal war es eine Baby-G - das neue Modell -, auf deren Zifferblatt ein kleiner Surfer erschien, wenn man die Hintergrundbeleuchtung einschaltete. Das gefiel mir, obwohl der kleine Mann jedes
Mal genau gleich surfte. Traurig, aber wahr.
Inzwischen war es kurz nach 13 Uhr. Granny und Grandad waren noch nicht da. Um mein schlechtes Gewissen zu beruhigen, machte ich mit Kelly einen Rundgang durch die Shops, der ihr Schokolade, einen BA-Teddybären und eine CD der All Saints einbrachte. Ich wusste, dass das alles ein schwacher Trost sein würde, aber es erleichterte mich etwas.
Wir gingen zum Costa Coffee Shop zurück und setzten uns auf Hocker, von denen aus wir den Eingangsbereich des Terminals überblicken konnten. Kelly trank Orangenlimonade, ich bekam einen miserablen Kaffee, und wir aßen Sandwiches, während wir beobachteten, wie Pauschalreisende noch eine Kleinigkeit zu sich nahmen, zu ihren Flugzeugen hasteten und oft in einer Stunde mehr Geld ausgaben, als sie im Urlaub pro Tag ausgeben würden.
»Nick, weißt du, wie lange es dauert, bevor ein Elefant geboren wird?«, fragte Kelly.
»Keine Ahnung.« Ich hörte nicht wirklich zu; ich war zu sehr damit beschäftigt, nach Carmen und Jimmy Ausschau zu halten, und musste mich beherrschen, um nicht schon wieder auf die Uhr zu sehen.
»Fast zwei Jahre.«
»Oh, das ist interessant«, behauptete ich.
»Okay, weißt du, wie viele Menschen 1960 auf der Welt gelebt haben?«
»Hundert Millionen?«
»Nick!«, sagte Kelly vorwurfsvoll. »Drei Milliarden. Und demnächst sind’s sechs Milliarden.«
Ich sah zu ihr hinüber. »Hey, für eine Neunjährige bist du ganz schön .«
Dann merkte ich, was sie machte: Sie las die Informationen von Würfelzuckerpapieren ab. »Das ist Betrug!«
Endlich ein Lächeln. Aber es wirkte rasch künstlich, als sie mit zusammengebissenen Zähne sagte: »Sieh nur, da kommen Granny und Grandad.«
»Los, lauf hin und begrüß sie!«
Kelly murmelte etwas vor sich hin, stand aber gehorsam auf und lief ihnen entgegen. Auf den Gesichtern der beiden mischte sich Erleichterung, dass
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