Nick Stone - 03 - Verbrannte Spuren
er sich aus ihrer Umarmung löste. Er war Anfang dreißig, trug sein braunes Haar modisch kurz und sah ganz wie ein erfolgreicher jüngerer
Geschäftsmann aus.
Liv wandte sich ab und ging in Richtung Busbahnhof davon. Es hatte keinen Abschiedskuss, keine letzte Berührung, kein Streicheln übers Haar gegeben.
Ich ließ sie an mir vorbeigehen, hastete dann zum 250
Ausgang zu den Bahnsteigen und sah den Unbekannten auf Bahnsteig 6, wo er mit seiner Fahrkarte in der Hand den richtigen Wagen suchte. Jetzt wurde es Zeit,
zurückzulaufen und nachzusehen, was Liv tat.
Ich stürmte durch den Ausgang zum Busbahnhof und
suchte den Platz ab. Liv entfernte sich von mir, setzte dabei ihre Tibetermütze auf und benutzte dann den Fußgängerübergang. Ihr schwarzer Mercedes-Geländewagen stand auf der anderen Straßenseite an einer Parkuhr.
Ich machte kehrt, rannte in den Bahnhof zurück. Auf einer Anzeigetafel las ich, dass der Zug auf Glas 6 in zwei Minuten nach St. Petersburg abfahren würde.
Im Zeitschriftenladen kaufte ich das Computermagazin und eine Rolle durchsichtiges Klebeband. Dann riss ich die Plastikhülle ab, teilte sie in zwei Hälften und verpackte darin unsere Tickets. Jetzt brauchte ich nur noch ein Versteck, das selbst Tom sich merken konnte.
Es war leicht zu finden. Die langen Reihen von
Schließfächern am Ausgang zu den Taxis standen auf zehn Zentimeter hohen seitlichen Betonsockeln. Während ich vorgab, meine Stiefel vor Schneematsch zu säubern, klebte ich Toms Ticket unter Nummer 10 und meines unter Nummer 11. Ging irgendwas schief, hatten wir wenigstens noch unsere Tickets für den Rückflug.
Auf dem Rückweg zum Kaufhaus Stockmann stellte
ich alle möglichen Vermutungen über Livs Treffen mit dem Mann im Kamelhaarmantel an.
Ich fuhr mit dem Aufzug in den fünften Stock hinauf.
Als ich die Abteilung Winterkleidung durchquerte, sah 251
ich ein Schild, das verkündete, ein Stockwerk höher befinde sich der »Klimaraum für Pelze«. Ich ging am Restaurant und der Saftbar vorbei und fand Tom im Café Avec mit Blick auf den Einkaufstrubel im vierten Stock.
Seine halb volle Tasse Kräutertee stand traurig und kalt vor ihm auf dem Tisch. Die in hellem Holz gehaltene Einrichtung stammte zweifellos von Ikea, und das Café war voller Leute, die als Imbiss eine Suppe oder ein kleines Fischgericht aßen. Der Lärm war ohrenbetäubend
– alle redeten gleichzeitig durcheinander, und Handys klingelten in Dutzenden von verschiedenen Tönen.
»Hallo, Kumpel.« Er begrüßte mich breit lächelnd, zeigte auf seine beiden Tragetaschen und machte dann eine auf, damit ich einen Blick hineinwerfen konnte. Ich stellte zufrieden fest, dass er sich anständige feste Stiefel gekauft hatte, und die dicke Holzfällerjacke mit
dunkelblauen Karos war genau das, was ich ihm zu
kaufen aufgetragen hatte.
»Großartig, Tom. Jetzt hör gut zu.«
Ich erklärte ihm, wo sein Flugticket versteckt war. Wir würden sie uns am Mittwoch holen, aber falls morgen Abend etwas schief ging, sollte er geradewegs zum Bahnhof fahren, sich seine Reisetasche grapschen und mit dem nächsten Flugzeug heimfliegen.
Seine Stimmung schien sich allmählich zu bessern.
»Ich will nur diesen Job hinter mich bringen und mit etwas Geld in der Tasche nach London zurück. Hier gefällt’s mir nicht wirklich. Ich dachte, Finnland würde mir gefallen, aber das war ein Irrtum. Das muss an der Kälte liegen. Deshalb habe ich für morgen die hier 252
gekauft.« Er beugte sich nach unten und zog seidene Skiunterwäsche – lange Unterhose, Unterhemd mit
langen Ärmeln – aus der anderen Tragetasche.
Ich verbiss mir ein Lachen. Solche Unterwäsche kaufte man vielleicht vor seinem allerersten Skiurlaub – um sie dann nie zu tragen.
Tom schien ziemlich stolz auf sie zu sein. »Wie findest du die? Halten die mich warm oder was? Du solltest dir auch welche kaufen, Nick. Die Verkäuferin hat gesagt, dass sie großartig warm halten.«
Klar hatte sie das gesagt; dieses Zeug kostete bestimmt dreimal mehr als vernünftige Thermo-Unterwäsche. »Ich habe schon welche«, behauptete ich. »Aber ich wollte noch etwas anderes mit dir besprechen.«
Er packte die Unterwäsche stolz wieder ein. »Was
denn?«
»Ich weiß, dass du gesagt hast, dass du dicht davor bist, aber glaubst du wirklich, dass du den Firewall bis morgen knacken kannst?«
Tom starrte mich an, als sei ich übergeschnappt. »Kein Problem. Aber du passt auf mich auf, stimmt’s? Ich meine,
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