Nick Stone - 04 - Eingekreist
ich hätte
Fieber?«
»Wie gesagt braucht niemand etwas davon zu
erfahren. Ich lüge nie, Nick.«
»Danke.«
»Sie nehmen mir nichts mehr übel?« Carrie sah rasch zu mir hinüber, um sich zu vergewissern, dass das
wirklich der Fall war, bevor sie sich wieder auf den Weg konzentrierte, der jetzt eine scharfe Linkskurve machte.
»Kann Ihr Vater Luz nicht einfach einen Pass
verschaffen? Für ihn wäre das bestimmt eine
Kleinigkeit.«
»Klar könnte er das, das weiß ich. Aber er weiß, dass ich verzweifelt bin. Von ihm habe ich noch nie etwas umsonst bekommen. Ich musste mir alles immer erst
verdienen. Anfangs sollte Luz den Pass dafür
bekommen, dass wir die Relaisstation bei uns einrichten lassen. Danach mussten wir Proviant, Ausrüstung und 404
ein paar Kanister Zweitaktermischung liefern. Sie
wollten nicht selbst nach Chepo fahren – wahrscheinlich hatten sie Angst, dort könnte sie jemand erkennen …
Und dann sind Sie aufgekreuzt.«
Ich saß neben Carrie und beobachtete, wir ihr Blick auf die Fahrspur gerichtet blieb, während sie in
Gedanken woanders war.
»Aaron hat Recht behalten. Er hat mich gewarnt, dass die Forderungen niemals aufhören würden, dass er mich gnadenlos ausnutzen würde. Wissen Sie was? Vielleicht hat er Recht, aber sobald Luz ihren Pass hat,
verschwinden wir von hier.«
»Sie wollen zu Ihrer Mutter? Nach Boston?«
»Sie hat ein Haus an der Küste in Marblehaed. Auf
mich wartet ein Job als Dozentin am MIT, und Luz
freut sich darauf, in eine richtige Schule zu kommen.«
»Wie stehen Sie eigentlich zu Ihrem Dad? Ich kann
nicht rauskriegen, ob Sie ihn lieben oder hassen oder sonst was.«
»Das weiß ich selbst nicht. Manchmal bin ich ein
bisschen eifersüchtig darauf, dass er sich so aufmerksam um Luz kümmert – und manchmal glaube ich, dass er
das nur tut, um mich im Auge behalten zu können.«
Sie konzentrierte sich weiter auf den Weg vor uns,
aber jetzt schien die Reihe an ihr zu sein, sich zu offenbaren. »Ich habe nie gewusst, wer er wirklich war, was er wirklich gemacht hat. Er war nur viel unterwegs und hat mir manchmal irgendetwas mitgebracht, das er in letzter Minute gekauft hatte – meistens etwas völlig Unpassendes. Sobald ich mich ans Zusammensein mit
405
ihm gewöhnt hatte, ist er wieder abgehauen. Mom hat nur abgewartet, bis ich mein Studium begonnen habe, dann hat sie sich scheiden lassen. Er ist ein kalter, gefühlsarmer Mensch, aber trotzdem mein Vater.«
Ich tippte auf die Gewehrmündung. »Er hat Ihnen das hier geschenkt.«
Sie sah kurz zu mir herüber und lächelte flüchtig.
»Vielleicht war das seine Art, Ihnen zu zeigen, dass er Sie liebt?«
»Vielleicht, aber vielleicht hat er auch bloß vergessen, das Gewehr einzupacken, als er von hier nach
Washington zurückversetzt wurde.«
»Aaron hat mir erzählt, dass Sie ihm ähnlich sind –
irgendwas mit den Stars and Stripes?«
Carrie lachte; das war offenbar ein häufig
angeschnittenes Thema.
»Das denkt Aaron nur, weil ich ausnahmsweise mit
George übereinstimme, was die Fehlentwicklung in
diesem Land betrifft. Aaron ist zu stur, um sie zu sehen; deshalb will er in Panama bleiben. Er hofft auf eine bessere Zukunft, die aber nicht kommen wird. Die
Kanalzone, in der er aufgewachsen ist, existiert nicht mehr. Wir, die Vereinigten Staaten, haben sie ohne Not aufgegeben. Das ist empörend.«
»Ihr Amerikaner könntet jederzeit zurückkommen,
wenn der Kanal gefährdet wäre. Steht im
Kleingedruckten nicht eine Klausel dieser Art?«
»Ja, natürlich – zum Beispiel wenn die Russen ihn
besetzen wollten. Aber ich denke nicht daran, meine Zukunft darauf aufzubauen.«
406
»Wozu die ganze Aufregung? Schließlich habt ihr
Amerikaner den Kanal freiwillig zurückgegeben.«
Sie reagierte ungehalten. »Nein – das hat Carter im Alleingang getan.«
Wir knallten fast an den Wagenhimmel, als der
Mazda in eine unerwartet tiefe Querrinne plumpste.
»Wir haben den Kanal gebaut, wir haben den Staat
aufgebaut. Geografisch ist Panama praktisch ein Teil der US-Küste, verdammt noch mal! Leute wie Lulu sind
dafür gestorben – und dieser nichtsnutzige
Erdnussfarmer hat es weggeworfen wie ein gebrauchtes Kleenex.« Sie machte eine Pause. »Wollen Sie wirklich wissen, warum diese Sache so wichtig ist?«
Ich nickte. »Warum nicht?«
»Okay, hier geht’s um zwei Hauptprobleme.« Sie
spreizte ihren rechten Zeigefinger von dem bockenden Lenkrad in die Höhe. »Die Fähigkeit von
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