Nick Stone - 04 - Eingekreist
SOUTHCOM,
Herstellung und Transport von Drogen zu verhindern, ist seit 1999 um ungefähr ein Drittel geschrumpft. Sie ist kurz gesagt nicht mehr der Rede wert. Leute wie Charlie oder die FARC können tun und lassen, was
ihnen beliebt. Wird nicht sehr bald entschlossen
gehandelt, verlieren wir den Drogenkrieg endgültig.
Aber das scheint in Amerika niemand zu erkennen.« Sie schüttelte ungläubig den Kopf, als könne sie die Naivität ihrer Landsleute nicht fassen. »Sie wissen, was ich meine, nicht wahr?«
Natürlich wusste ich das. In den vergangenen
Monaten hatte ich genügend Umgang mit
Drogensüchtigen gehabt.
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»Die einzig mögliche Reaktion war, was Clinton
getan hat – über eine Milliarde Dollar für den
Kolumbien-Plan bereitstellen, Truppen entsenden und die für den Kampf gegen den Drogenhandel nötige
Ausrüstung liefern. Sie wissen, was der Kolumbien-Plan ist, nicht wahr? Oh, Entschuldigung, wie dumm von
mir!«
Die Federung knarrte, und aus dem Laderaum
drangen Klappergeräusche, während sie mit dem
Lenkrad kämpfte. »Nach dem Verlust der Kanalzone ist uns nichts anderes übrig geblieben, als viel weiter südlich zuzuschlagen und den Kampf in ihren eigenen Hinterhof zu tragen.«
Ich betrachtete ihr Gesicht im rötlichen Widerschein der Instrumentenbeleuchtung.
»Aber das kann nicht funktionieren. Niemals! Wir
lassen uns dort unten nur in einen langen, kostspieligen Krieg verwickeln, der sich kaum auf den Drogenhandel auswirken wird.«
Aus ihren Augen, die weiter auf den Weg gerichtet
blieben, leuchtete das Feuer wahrer Überzeugung. Ihr Vater wäre bestimmt stolz auf sie gewesen.
»Ich sage Ihnen, wir lassen uns in ihren Bürgerkrieg hineinziehen, statt den Drogenschmuggel zu bekämpfen.
Und dieser Krieg wird bald auf Venezuela, Ecuador und die Nachbarstaaten übergreifen. Das Ganze ist eine
Neuauflage des Vietnamkriegs. Indem wir die Kanalzone verschenkt haben, haben wir eine Situation geschaffen, in der wir sie dringender als je zuvor brauchten.
Verrückt, nicht wahr?«
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Das klang logisch. »So hat der Drogenkrieg
Ähnlichkeit mit dem Versuch, die Invasion in
Frankreich am D-Day von New York aus zu beginnen,
oder?«
Carrie lächelte mir zustimmend zu, während sie
weiter mit den tiefen Fahrspuren kämpfte.
»Panama wird als Aufmarschgebiet gebraucht, aus
dem wir unsere Truppen einsetzen können – und als
Pufferzone, die eine Ausweitung des Konflikts auf
Mittelamerika verhindert. Clinton steuert einen sehr gefährlichen Kurs, aber ohne die Kanalzone hatte er praktisch keine andere Wahl.«
Wir verfielen in Schweigen, während sie die letzte
Wegstrecke bewältigte, bevor wir endlich die Straße nach Chepo erreichten.
»Und noch erschreckender, noch beschissener ist die Tatsache, dass China jetzt den Kanal verwaltet. Durch unseren Abzug ist ein Machtvakuum entstanden, das
nun China ausfüllt. Können Sie sich das vorstellen?
Ohne einen einzigen Schuss abgegeben zu haben,
kontrolliert das kommunistische China jetzt in unserem Hinterhof eine der wichtigsten Handelsrouten der
Vereinigten Staaten. Nicht nur das, sondern wir haben auch zugelassen, dass ausgerechnet der Staat, der die FARC in ihrem Krieg unterstützen könnte, die
Kontrolle über den Kanal erlangt.«
Ich begriff, was Aaron vorhin gemeint hatte.
»Kommen Sie, der Vertrag ist nur an eine Hongkonger Firma gegangen. Die betreibt weltweit Häfen.«
Ihre Kinnlinie wurde energischer, als sie die Zähne 409
zusammenbiss. »Ach, wirklich? Jedenfalls ist Peking mit zehn Prozent an dieser Firma beteiligt, die jetzt die Häfen an beiden Kanalausgängen und einige unserer
ehemaligen Militäreinrichtungen betreibt. In der Praxis kontrolliert das kommunistische China nun vierzehn
Prozent des gesamten US-Handels, Nick – können Sie sich das vorstellen, dass wir das zugelassen haben? Ein Land, das die Vereinigten Staaten offen als Feind
Nummer eins bezeichnet? China hat die strategische
Bedeutung des Panamakanals schon im Jahr 1919
erkannt.«
Sie schüttelte verbittert dem Kopf. »Aaron hat Recht: In diesen Punkten stimme ich George zu, obwohl er
politisch immer rechts von Attila dem Hunnenkönig
gestanden hat.«
Ich begann einzusehen, dass ihre Befürchtungen
vielleicht nicht ganz unberechtigt waren. Ich würde den Hafen von Dover nie wieder mit denselben Augen wie
früher sehen.
»Charlie hat zu den Leuten gehört, die den Deal mit den Chinesen vorangetrieben haben. Ich frage mich, was er
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