Nick Stone - 04 - Eingekreist
alles war notwendig, weil ein nasser Lauf und nasse Munition die Geschossbahn beeinflussen — nicht allzu sehr, aber doch merklich. Da ich die Waffe mit trockenem Lauf und trockener Munition eingeschlossen hatte, musste ich sie in diesem Zustand erhalten, um meine Chancen auf einen tödlichen Treffer beim ersten Schuss zu optimieren.
Als Nächstes benutzte ich die Klarsichthülle der letzten Wolldecke als Schutz für die Landkarte, die ihrem Aufdruck nach im Jahre 1964 von der 55Ist Engineer Company der U.S. Army für die panamaische Regierung erstellt worden war. Seit damals würde sich viel verändert haben — so würden Charlies Haus und die Ringstraße nicht darauf zu finden sein, um nur zwei Beispiele zu nennen. Aber das machte mir keine großen Sorgen; mich interessierten in erster Linie die topografischen Angaben wie Höhenschichtlinien und Wasserläufe. Dieses Zeug würde mir später helfen, aus dem Dschungel herauszukommen und den Flughafen zu erreichen.
Der Kompass hatte noch seine Kordel, sodass ich ihn mir einfach umhängen und unter dem T-Shirt tragen konnte. Was er nicht mehr hatte, waren die auf dem Verstellring aufgedruckten Marschzahlen:
Insektenschutzmittel hatte das Plastikgehäuse angegriffen und sie weggefressen. Aber das war mir egal, solange die rote Kompassnadel nach Norden zeigte.
Landkarte, Kompass, Machete und meine Papiere würden im Dschungel ständig an meinem Körper bleiben. Ich konnte es mir nicht leisten, sie zu verlieren.
Bevor ich mich hinlegte, fädelte ich das Ende eines dicken Bindfadenknäuels durch den in den Gewehrkolben gefrästen Schlitz, der ursprünglich für einen Gewehrriemen gedacht gewesen war. Ich wickelte eineinviertel Meter Schnur um den Kolben, schnitt die Bindfäden ab und verknotete ihn. Umgehängt würde ich die Waffe nur tragen, wenn ich auf einen Baum kletterte; nur dann würde ich sie mir an der Schnur über den Rücken hängen.
Ich räumte meine Ausrüstung von dem Feldbett und zog an der Lampenschnur. Die anderen wollte ich jetzt nicht sehen; das lag nicht daran, dass ich ungesellig war, sondern dass ich diese letzte Ruhepause vor dem Einsatz nutzen wollte, um noch etwas zu schlafen.
Als ich mit hinter meinem Kopf gefalteten Händen auf dem Feldbett lag, dachte ich über mein Gespräch mit Carrie nach. Ich hätte ihr nicht alles über mich erzählen dürfen. Das war unprofessionell und dumm gewesen, aber es hatte mir gut getan. Dr. Hughes hatte es nie
geschafft, mir dieses Gefühl zu vermitteln.
Ich schreckte hoch. Ich hob den linken Arm, um auf die Baby-G zu sehen, und beruhigte mich wieder: Es war erst Viertel nach acht. Aufstehen musste ich nicht vor neun Uhr.
Der Regen trommelte sanft und gleichmäßig auf das Blechdach, ohne das Arbeitsgeräusch der Ventilatoren im Computerraum nebenan übertönen zu können. Ich rieb mir die Augen und mein von Schweiß klebriges Gesicht und war froh, dass ich nicht wieder Albträume gehabt hatte.
Der Aluminiumrahmen des Feldbetts quietschte leise, als ich mich auf den Bauch wälzte und in Gedanken nochmals meine Packliste für den Rucksack durchging. Dabei hörte ich trotz des Regens und der Ventilatoren gelegentlich ein verschwörerisch klingendes Murmeln, das ich sofort erkannte — schließlich hatte ich diesen Tonfall oft genug selbst benutzt.
Das Feldbett knarrte, als ich meine Füße auf den Boden stellte und aufstand. Das Murmeln kam aus dem Computerraum, zu dessen Tür ich mich jetzt vortastete. Ein schmaler Lichtstreifen, der unter ihr hervordrang, wies mir den Weg.
Ich legte mein Ohr ans Holz und lauschte.
Die Stimme gehörte Carrie. Sie antwortete flüsternd auf eine Frage, die ich nicht mitbekommen hatte: »Sie können jetzt nicht kommen . Was ist, wenn er sie sieht? . Nein, er weiß nichts, aber wie soll ich sie getrennt halten? . Nein, das kann ich nicht . Er
würde aufwachen .«
Meine Hand lag auf dem Türknopf. Ich drehte ihn lautlos nach links und öffnete die Tür kaum zwei Zentimeter weit, um zu sehen, mit wem sie sprach.
Das fünfzehn mal fünfzehn Zentimeter große Schwarzweißbild ruckelte etwas und war an den Rändern ausgefranst, aber ich sah trotzdem, wessen Kopf und Schultern den Aufnahmebereich der Webcam ausfüllten. George, der zu einer karierten Jacke eine dunkle Krawatte trug, blickte streng in die Kamera.
Während seine Lippen sich stumm bewegten, hörte Carrie seine Stimme in ihrem Kopfhörer. »Aber das würde nicht funktionieren; das würde er mir nicht abnehmen
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