Nick Stone - 04 - Eingekreist
Um uns herum hallte der Lärm von Presslufthämmern von der Baustelle gegenüber und ließ sogar die vorbeikommenden Autofahrer zusammenzucken.
Ich spielte mit dem Tod, als ich die Straße überquerte, um im Superdrug etwas Wasch- und Rasierzeug zu kaufen, und latschte dann mit in den Hosentaschen vergrabenen Händen und hängendem Kopf wie ein niedergeschlagener Teenager die High Street entlang, um irgendwo zu frühstücken. Ich watete durch KFCSchachteln, Kebab-Papier und zersplitterte Bacardi- Breezer-Flaschen, die nach der letzten Nacht noch nicht zusammengekehrt worden waren. Wie ich entdeckt hatte, als ich hergezogen war, gab es hier unverhältnismäßig viele Pubs und Clubs.
Die Camden High Street und ihre Märkte schienen ziemlich viele Touristen anzulocken. Es war erst kurz vor zehn Uhr, aber die meisten Klamottenläden hatten bereits eine erstaunliche Auswahl an Kleidungsstücken vor ihren Läden hängen — von psychedelischen Hosen mit Schlag über Bondagehosen aus Leder bis hin zu mehrfarbigen Doc Martens. Das Verkaufspersonal bemühte sich unaufhörlich, Norweger oder Amerikaner, die Tagesrucksäcke trugen und Stadtpläne in den Händen hielten, mit lauter Musik und einem Lächeln hereinzulocken.
Ich ging unter dem Baugerüst hindurch, das den Gehsteig an der Ecke zur Inverness Street überspannte, und wurde von dem bosnischen Flüchtling, der dort geschmuggelte Zigaretten aus einer Sporttasche verkaufte, mit einem Nicken begrüßt. Er hielt den Vorbeigehenden ein paar Stangen hin und sah in seiner Bomberjacke aus Kunstleder und seiner Jogginghose genau so aus, wie ich mich fühlte — des Lebens überdrüssig. Wir kannten uns vom Sehen, und ich erwiderte sein Nicken, bevor ich nach links in den Einkaufsmarkt abbog. Mein Magen war so leer, dass er wehtat, was die Schmerzen von den Fußtritten noch
verstärkte. Ich freute mich wirklich auf ein Frühstück.
Das Café war voller Bauarbeiter, die gerade eine Pause machten. Ihre schmutzig gelben Schutzhelme waren wie die Helme in einer Feuerwache an der Wand entlang aufgereiht, während sie sich mit dem ganztägig angebotenen Frühstück für drei Pfund voll stopften. In dem Raum hing der Dunst aus frittierten Gerichten und Zigarettenqualm, für den vermutlich der Bosnier zuständig war. Ich gab meine Bestellung auf und lauschte dem Radio hinter der Theke, während ich mir einen Becher Pulverkaffee holte. In den Hauptstadtnachrichten wurde der gestrige Terroranschlag nur noch stichwortartig erwähnt. Er nahm bereits den zweiten Platz hinter Posh Spice’ neuer Frisur ein.
Ich ließ mich an einem viersitzigen Gartentisch aus Gusseisen- und Marmorimitat nieder, schob den überquellenden Aschenbecher weg und starrte die Zuckerdose an. Das Kribbeln war zurückgekehrt, und ich merkte, dass ich mit aufgestützten Ellbogen dasaß und mein Gesicht in den Händen verbarg. Aus irgendeinem Grund erinnerte ich mich daran, wie ich als Siebenjähriger meinem Stiefvater mit Tränen in den Augen zu erklären versucht hatte, dass ich mich im Dunkeln fürchtete. Statt tröstend in den Arm genommen zu werden und eine kleine Lampe ins Zimmer gestellt zu bekommen, brachte mir das Ohrfeigen und die Drohung ein, wenn ich nicht aufhörte, solch ein Waschlappen zu sein, werde das Nachtmonster unter meinem Bett hervorkommen und mich fressen.
Damit jagte er mir richtig Angst ein, und ich lag viele Nächte stocksteif unter der Bettdecke und dachte, solange ich den Kopf nicht hinausstreckte, könne das Nachtmonster mich nicht erwischen. Und jetzt hatte ich nach so vielen Jahren wieder dasselbe Gefühl von Angst und Hilflosigkeit.
Ich wurde aus meiner Trance gerissen. »Großes Frühstück, Rührei extra?«
»Das bekomme ich.«
Ich setzte mich auf, schlug mir mit Schinken, Würstchen und Rührei den Bauch voll und fing an, über meine Einkaufsliste nachzudenken. Zumindest würde ich für meine Reise nach Mittelamerika nicht viele Klamotten brauchen. Nun, vielleicht war doch nicht alles so schlimm: Immerhin war mein Reiseziel ein warmes Land.
Ich war noch nie in Panama gewesen, aber ich hatte während meiner Dienstzeit im SAS-Regiment an seiner Grenze zu Kolumbien gegen die FARC (Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens) operiert. In den Achtzigerjahren waren wir Bestandteil der britischen Erstschlagpolitik gewesen — eines von den USA finanzierten Unternehmens mit dem Ziel, die Drogenherstellung an der Quelle zu treffen, was bedeutete, dass man wochenlang im Dschungel im
Weitere Kostenlose Bücher