Nick Stone 05 - Tödlicher Einsatz
endlich wieder daran denken kann, was vor mir liegt. Mir kommt’s so vor, als hätte ich im vergangenen Jahr nur Wasser getreten, als hätte mein Leben sich in einer
Warteschleife befunden. Das war’s, was ich dir sagen wollte, Nick. Ich möchte, dass wir zusammen sind - wirklich zusammen.« Sie sah zu Boden, dann hob sie wieder den Kopf und blickte mir in die Augen. »Neue Carrie, neuer Nick, neues Leben. Deshalb wollte ich mit dir hierher fahren. Tucker’s Wharf, die Gangway zur Welt. Die Gangway zur Zukunft. Du bist immer so geduldig gewesen, was Aaron betrifft. Ich weiß, dass ich ihn nie vergessen werde, aber ich bin jetzt bereit, eine neue Seite in meinem Leben aufzuschlagen, und nur das ist wichtig. Ich möchte, dass wir die Zukunft gemeinsam gestalten.«
»Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.«
»Dann tu’s nicht. Du brauchst nichts zu sagen.« Wir standen auf und gingen Arm in Arm weiter, bis wir eine kleine geschützte Bucht erreichten.
»Little Harbor.« Ihre Handbewegung erfasste die vor uns liegende Bai. »Mom hat immer gesagt, hier habe alles begonnen. Hier haben die Gründerfamilien, einige davon ihre Vorfahren, sich im Jahr 1629 niedergelassen. Die Siedler haben den Wald gerodet, um winzige Hütten mit Reetdächern und Fischerboote zu bauen. Ich habe noch Moms Stimme im Ohr: >Aus diesem Hafen sind Männer mit starken Herzen ausgelaufen, um in unkartierten Gewässern zu fischen. < Von ihren Geschichten über die Gründerfamilien konnte ich nie genug bekommen. Diese Leute waren mutig, unternehmungslustig, auf der Suche nach persönlicher Freiheit, einem Stück Land, einem kleinen Hafen am Meer .«
»Sie hatten Recht.« Zu meinem Erstaunen hörte ich mich das laut sagen. »Marblehead kommt auch meinem Ideal ziemlich nahe, weißt du.« Ich hatte nicht geahnt, dass es solche Orte gab, als ich in Peckham die Schule geschwänzt hatte.
»Tucker’s Wharf hatte mit Ausreisen zu tun, Nick. Hier in Little Harbor geht’s um Ankünfte. Ein Symbol für unseren Neuanfang. Ich habe das Gefühl, dass etwas Neues vor uns liegt, deshalb wollte ich mit dir herkommen, um dir das zu erzählen. Ich bin noch nie mit jemandem hier gewesen, nicht mal mit Aaron.« Sie lächelte erneut. »Noch ein kleiner Ausflug in die Geschichte? Unsere Schiffe haben mit aller Welt Handel getrieben, wir haben Stockfisch gegen Tuche, Werkzeug, Gold und Silber eingetauscht. Alle wurden wohlhabend, und in dieser Zeit gab es neue wichtige Ereignisse - den Krieg gegen die Franzosen und die Piraten. Die haben unsere Küste jahrzehntelang unsicher gemacht.« Sie zögerte einen Augenblick verlegen. »Ich habe etwas für dich.« Aus der Innentasche ihres Mantels zog sie ein mit leuchtend blauem Satinband sorgfältig verpacktes Geschenk. Sie überreichte es mir strahlend. »Komm, du kannst es gleich aufmachen. Es beißt nicht.«
Ich knotete das Satinband so vorsichtig auf wie möglich.
A General History of the Robberies andMurders of the most Notorious Pirates von Captain Charles Johnson.
Sie war sichtlich entzückt, als ich das Buch durchblätterte und bei jeder Illustration kurz innehielt.
»Diese Ausgabe stammt aus dem Jahr 1724. Ich habe das Buch in einem kleinen New Yorker Antiquariat gefunden. Ich weiß, dass es nichts mit dem Mittelalter zu tun hat, aber es enthält viel über Schiffe aus Neuengland, die auf der Reise nach London gekapert wurden. Ich hab gewusst, dass es dir gefallen würde. Und außerdem soll es dich an alles erinnern, womit ich dich vorhin gelangweilt habe.«
Ich klappte das Buch zu. »Du hast mich nicht gelangweilt. Ich habe jedes Wort genossen.«
Wir gingen zum Auto zurück und fuhren in die Gregory Street. Das Haus aus dem Jahr 1824 befand sich seit Generationen im Familienbesitz. Es war ursprünglich nur eine Fischerkate mit Meerblick gewesen, aber zahlreiche Um- und Anbauten, vermutlich in dem Goldenen Zeitalter, von dem Carrie erzählt hatte, hatten sie in ein geräumiges Familienheim verwandelt. Über der Haustür war als Willkommensgruß eine hölzerne Ananas angenagelt. In dieser Gegend waren sie sehr häufig zu sehen. Vor ein paar Jahrhunderten hatten Seeleute nach ihrer Heimkehr von langen Reisen eine Ananas vor die Haustür gestellt, um zu zeigen, dass sie wieder zu Hause waren und sich über Besuch freuen würden. Normalerweise hätte ich irgendeine flapsige Bemerkung darüber gemacht, aber die sparte ich mir heute lieber.
Sie bog von der Straße auf die Einfahrt ab und hielt auf den weißen
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