Nick Stone 07 - Schattenkiller
den Teil, der Mr. Nuhanovic und Sie betrifft. Ich hoffe, Sie finden sie aufschlussreich. Bitte hören Sie aufmerksam zu.«
Ich nickte.
»Danke.« Er rückte Jacke und kugelsichere Weste zurecht. »Dies sind gefährliche Zeiten, Nick. Was heute im Irak geschieht, ist vielleicht der Anfang einer Epidemie, die sich weit über den Nahen Osten hinaus ausbreiten und auch mein Land erfassen könnte.«
Der Wagen wurde langsamer und blieb schließlich im Verkehrschaos stecken. Ein Hupkonzert begann; Fahrer riefen. Ein sechs oder sieben Jahre altes, verstaubtes Mädchen ging bettelnd an den ebenfalls verstaubten Autos entlang. Selbst in einem so heruntergekommenen Land gab es immer noch einige Leute, die ihr ein paar Bilder von Saddam gaben, der auf irgendetwas zeigte.
Benzil drehte den Kopf und beobachtete das Mädchen.
»Sind Sie Muslim?«
Er lächelte, den Blick noch immer auf die kleine Bettlerin gerichtet. »Im Geiste.« Er seufzte tief. »Ich bin Jude.« Kein Wunder, dass er sich so bedeckt hielt. Ich dachte kurz daran, dass er Nuhanovics Bruder sein könnte.
»Die meisten Bewohner meines Landes sind Muslime, aber sie werden unterdrückt. Wir alle.« Benzil wandte sich wieder an mich und nahm die Sonnenbrille ab. »Wie immer in solchen Situationen leiden vor allem die einfachen Leute. Fragen Sie Robert. Er weiß, dass es stimmt.«
Rob sah wieder in den Rückspiegel. »Derzeit sind es nur die militanten Islamisten, die beschlossen haben, etwas zu tun.«
Benzil lächelte reumütig. »Letzte Woche kam es zur bisher schlimmsten Gewalt in der kurzen Geschichte unserer Unabhängigkeit. Es fanden stundenlange Schießereien zwi- schen den militanten Gruppen und der Polizei statt. Mehr als vierzig Personen kamen bei Bombenanschlägen ums Leben.« Er schüttelte traurig den Kopf. »Bittere Armut vereint mit dem völligen Fehlen von Solidarität erzeugt ein soziales Vakuum«, sagte er. »Und der militante Islam ist dabei, dieses Vakuum zu füllen. Wenn es so weitergeht, greifen eines Tages auch gewöhnliche Leute zu den Waffen und drehen durch. Hier kommt Mr. Nuhanovic ins Spiel. Er wird verhindern, dass so etwas passiert.«
»Glauben Sie, er könnte in Usbekistan wiederholen, was er in Bosnien geschafft hat?«
Benzil hob die Hände. »Warum nicht? Nach jenem Krieg versuchten die politischen Parteien, erneut die alten Hasskarten zu spielen. Es ist zu einem großen Teil Mr. Nuhanovic zu verdanken, dass Menschen aller Glaubensrichtungen gelernt haben: Nur die Einheit ermöglicht eine stabile Zukunft für ihr Land. Viele mächtige Leute hassen ihn deshalb, aber sie waren gezwungen, sich anzupassen. Wir sind dort gewesen und haben es mit unseren eigenen Augen gesehen, nicht wahr, Robert?«
»Ja. Er war in Pakistan, und jetzt ist er hier. Aber ... wir brauchen ihn in Usbekistan.« Rob sah diesmal nicht in den Rückspiegel - er war zu sehr damit beschäftigt, den Wagen durchs Chaos zu steuern.
Benzil nickte zustimmend. »Die Wahrheit lautet: Weil Mr. Nuhanovic dabei geholfen hat, Bosnien zu einem funktionierenden Staat zu machen, konnte sich dieses Land der internationalen Gemeinschaft hinzugesellen. Die Einheit früherer Feinde, zum Wohle aller. Ein reizvolles Konzept, finden Sie nicht?«
»Und er hofft, das Gleiche im Irak zu bewirken?«
»In der ganzen muslimischen Welt, Nick. Sein größtes Problem, das größte Hindernis auf dem Weg des Fortschritts, besteht aus dem Interesse an Uneinigkeit. Zersplitterung nützt der externen Welt. Teile und herrsche, so lautet eine der wichtigsten Lektionen der Geschichte.«
Benzil lächelte schief, als er ans Fenster klopfte. »Das kleine Mädchen dort weiß mehr als alle irakischen Fraktionen zusammen.«
59
Rob ließ das Seitenfenster herunter und gab dem Kind eine 250-Dinar-Note, etwa einen Dollar zwanzig. Licht strömte durch die von Insektenflecken übersäte Windschutzscheibe. Die Sonne sank tiefer und würde gleich hinter den Gebäuden verschwinden. Die Klimaanlage des Wagens lief mit maximaler Leistung, aber ich schwitzte trotzdem.
»Es geht Mr. Nuhanovic um Folgendes, Nick. Er will die Leute dazu bringen, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen und sich nicht mehr von jenen beherrschen zu lassen, die sich anmaßen, anderen Kulturen ihren Willen aufzuzwingen.«
Bei den im Stau festsitzenden Fahrern wuchs der Ärger. Es herrschte ein fast ohrenbetäubender Lärm. Schließlich kam wieder Bewegung in das Durcheinander, und die Fahrzeuge rollten langsam
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