Nick Stone 07 - Schattenkiller
vom Stadtzentrum aus gehört. Die Drahtigel waren nicht die einzigen Hindernisse gewesen, denen man damals bei der Fahrt zum Flughafen ausweichen musste. Man hatte auch auf herabgefallene Betonteile, ausgebrannte Wagen und die eine oder andere Leiche achten müssen.
Etwa einen Kilometer weiter vorn ragte ein ausgebombtes Hochhaus auf: das ehemalige Parlamentsgebäude.
»Wir sind fast da, Sunny Side Up.«
Jerry sprach die Worte im gleichen Moment, als ich sie dachte.
Ich schmunzelte unwillkürlich. Seit fast zehn Jahren hatte ich das nicht mehr gehört.
Über Rob und Benzil hatten wir nicht gesprochen. In dieser Hinsicht gab es auch nicht viel zu sagen.
Das Taxi hielt vor dem großen gelben Block mit dem Holiday-Inn-Schild. Als ich das letzte Mal hier gewesen war, hatte Schnee den Boden bedeckt, was zu dem Spitznamen führte. Das Hotel schien sich überhaupt nicht verändert zu haben, aber es war jetzt viel stiller - damals war täglich ein Regen aus viertausend Granaten und anderen Geschossen auf die Stadt niedergegangen. Ich erinnerte mich an gute Pommes und manchmal sogar Würstchen, wenn die Küche welche auftreiben konnte. Bis ein Scharfschütze den Koch auf dem Weg zur Arbeit erledigte.
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Das Holiday Inn hatte vor dem Krieg schließen müssen, weil es bankrott gewesen war, doch als die anderen Hotels der Stadt nacheinander ausgebombt wurden, öffnete es wieder. Während der langen Belagerung stiegen die Preise zwar immer mehr, aber trotzdem mangelte es nicht an Gästen. Es spielte keine Rolle, dass die oberen Stockwerke dauernd unter dem Beschuss der serbischen Artillerie und von Granatwerfern standen: Wie das Pa- lestine sollte es Geld einbringen, und es blieb Hauptquartier und Nachtasyl für die Medien der Welt.
Manchmal gab es Strom, manchmal nicht. Manchmal waren die Zimmer eiskalt und manchmal zu heiß. Wie auch immer: Bestimmt war es das einzige Hotel auf der Welt, bei dem die Zimmer ohne gute Aussicht am meisten kosteten. Die goldene Regel des Überlebens lautete: Wenn du den Heckenschützen siehst, so sieht er dich, und es muss nicht unbedingt ein Serbe sein. Dieser Krieg hatte irre Typen von überall angelockt: Neonazis, Leute, die keine Muslime mochten, und solche, die einfach Gefallen daran fanden, Menschen zu töten. Sie alle kamen für ein bisschen Kriegstourismus, wurden zu den geeigneten Plätzen im höheren Gelände geführt und konnten von dort aus auf alles schießen, was sich bewegte. Es gab Fotos von einem avantgardistischen russischen Schriftsteller, der mit einem Scharfschützengewehr in die Stadt geschossen hatte.
Das Einsatzzimmer der Firma über dem Café war nur etwa zwanzig Gehminuten entfernt, in Friedenszeiten - während der Belagerung hatten es manchmal zwei bis drei Stunden sein können, wenn die Heckenschützen aktiv gewesen waren, sich die Leute in den Straßenecken zusammendrängten und auf den Mut warteten loszulaufen.
Als wir uns anmeldeten, nahm der Portier unsere Pässe als Sicherheit, so wie damals. Das hatte ich immer verabscheut. Bei solchen Gelegenheiten fragte ich mich, ob ich meinen Pass jemals Wiedersehen würde.
Das Dekor hatte sich kaum geändert: Jede Menge grauer Ersatzmarmor bedeckte fast alle Oberflächen. Auch die Leute von der Rezeption verhielten sich noch immer so, als riskierten sie mit einem freundlichen Lächeln den sofortigen Abtransport in ein Arbeitslager.
Das Holiday Inn war jetzt viel stiller, weil auf niemanden geschossen wurde und keine Granaten im Foyer landeten, aber es schien ebenso gut besucht zu sein. Ich fragte mich, ob es noch immer als Treffpunkt für Journalisten diente. Wahrscheinlich nicht. Sarajevo war kein solcher Ort mehr. Es gab andere Kriege, andere Geschichten. Die meisten Leute, die ich sah, schienen aus geschäftlichen Gründen hier zu sein. Deutsche und Türken mit Handys gingen zum Lift und rollten ihr Gepäck hinter sich her.
Ein Aufenthaltsbereich nahm den größten Teil des Erdgeschosses ein, mit quadratischen Leder-und- Chrom-Sitzen an niedrigen Tischen. In der gegenüberliegenden Ecke versuchte eine Kaffeebar, wie ein großes Zelt mit einem gestreiften Vordach über den Cappuccino-Maschinen und Whiskyflaschen auszusehen. In der Mitte war das Hotel hohl. Alle Zimmer befanden sich an der Außenseite, und das zehn Etagen hohe Atrium sah aus wie das Innere eines Staatsgefängnisses. Es erinnerte mich an einen Ausflug nach Alcatraz, zusammen mit Kelly.
Wir traten in den Lift und drückten die Taste für den
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