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Nickel: Roman (German Edition)

Nickel: Roman (German Edition)

Titel: Nickel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aric Davis
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diese Straße diente nicht als Einfallstraße. Hier war es so ländlich, dass man ruhig eine Weile stehen bleiben konnte – mit ein bisschen Glück lange genug, um ein kleines Mädchen in einen Transporter zu stecken. Mir kam der Gedanke, dass Shelby auch von einem Duo entführt worden sein konnte. Es hätte ihnen die Arbeit noch mehr erleichtert, wenn einer von ihnen im Wald gewesen wäre und der andere in einem Transporter gewartet oder so getan hätte, als müsste er einen Reifen wechseln. Falls sie wirklich zu zweit gewesen waren, stellte ich mir vor, dann hatte einer von ihnen Shelby in den Wald gelockt, sie dort betäubt und durch den Wald zum wartenden Auto getragen. Es wäre ganz einfachgewesen. Ich erschauerte und sah zurück zum Wald. Ich sah das alles genau vor mir, immer wieder lief es vor meinem inneren Auge ab, wie eine kleine Wochenschau.
    Arrow riss mich da wieder heraus, und zum ersten Mal, seit ich sie kannte, klang sie wie das junge Mädchen, das sie war. »Nickel«, sagte sie, »wir müssen sie finden.«
    Ihre Augen waren feucht und ich klemmte mir ein Streichholz zwischen die Zähne. Allmählich fügte sich für mich eins ins andere, langsam, aber sicher. Irgendetwas war hier, jetzt musste ich nur noch kapieren, was mein Bauchgefühl mir sagen wollte. Ich brauchte Zeit und die war so kostbar wie nie; ich hatte Shelby schon viel zu lange vergeblich gesucht. Trotzdem fiel mir im Augenblick nichts Besseres ein, als mich zu Arrow umzudrehen, das Streichholz im Mundwinkel tanzen zu lassen und zu fragen: »Lust, essen zu gehen?«

Kapitel 10
    Ich ging mit ihr in ein Lokal, in das ich schon immer einmal hatte gehen wollen: Graydon’s Crossing, ein kleiner englischer Pub, etwa auf halbem Weg zwischen Arrows und meinem Zuhause. Wir waren bei ihr vorbeigegangen, damit sie ihr Fahrrad holen konnte, und vor dem Restaurant wickelte sie ihr Fahrradschloss genauso um den Rahmen wie ich. Vielleicht wirkte das bei mir ja cool. (Man darf ja wohl hoffen.) Ich hielt ihr die Tür auf und folgte ihr hinein. Zuerst dachte ich, ich hätte einen Fehler gemacht: Es war eher eine Bar als ein Restaurant, und ich fürchtete, wir würden wieder hinausfliegen, ehe die Tür hinter uns zufiel. Stattdessen führte eine Kellnerin uns zu einer Sitzecke mit hohen Rückenlehnen. Abgesehen von der Öffnung, durch die man hineingelangte, saß man da ziemlich ungestört. Ich bestellte ein Wasser und Arrow eine Diätcola.
    Die Speisekarte war so dick wie ein Buch und ich entschied mich für ein Rib-Eye-Steak, blutig, mit Kartoffeln. Ich hatte schon ewig kein Steak mehr gegessen. Ich konnte ganz gut mit dem kleinen Gasgrill hinterm Haus umgehen, aber ich konnte ums Verrecken kein Steak zubereiten. Arrow bestellte dasGleiche. Gott segne Frauen, die blutiges Fleisch mögen. Wir gaben die Bestellung auf. Dann saßen wir da und ließen unsere Umgebung auf uns wirken. Ich konnte natürlich nicht für Arrow sprechen, aber ich jedenfalls kam mir ausnahmsweise nicht allzu sehr wie ein Kind vor – ich war ein Kerl, der für eine Dame einen Auftrag erledigte. Wenn das kein gutes Gefühl ist, dann weiß ich auch nicht.
    Sie fragte: »Warst du schon mal hier?«
    »Nein, aber ich bin schon tausendmal dran vorbeigefahren und habe nur auf einen Grund gewartet, um hierherzukommen.«
    »Ich bin ein Grund?«
    Sie lächelte und ich sagte: »Du bist ein guter Grund.«
    Sie sah mir in die Augen, und noch bevor sie sprach, spürte ich das Feuer in meinen Wangen.
    »Nickel, du bist anders als alle anderen Kinder, die ich je kennengelernt habe.«
    Ich versuchte die Röte mit schierer Willenskraft aus meinem Gesicht zu vertreiben. Sie hatte recht, aber ich sagte nichts. Ich mochte jung sein, klein für mein Alter und völlig überfordert von dem Mädchen, das mir gegenübersaß, aber selbst ich weiß, dass man über ein solches Wahnsinnskompliment nicht streitet.
    »Gehst du zur Schule?«
    »Nein.«
    »Und früher?«
    »Ich bin lange genug hingegangen, um zu wissen, dass die mir nichts beibringen können, was ich nicht allein lernen kann.«
    »Das hast du aus einem Spielfilm.«
    Ich lächelte. Wahrscheinlich hatte sie recht, ich konnte mich bloß nicht mehr erinnern, aus welchem. Ich wechselte das Thema. »Wie geht’s deinen Eltern?«
    »Nicht gut. Mein Dad hat immer noch diese fixe Idee, dass sie weggelaufen und alles seine Schuld ist. Meine Mom sitzt nur in ihrem Zimmer und weint den ganzen Tag. Ich glaube, sie trinkt wieder. Das hat sie früher schon, als

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