Nickel: Roman (German Edition)
ich klein war, und ich hatte immer Angst, dass sie wieder anfängt. Shelby ist weg und ohne sie fällt die Familie auseinander.«
»Wir müssen sie finden.«
Sie nahm meine Hand und rieb meine Handfläche; sie trug limettengrünen Nagellack. »Danke, dass du mir hilfst, Nickel.«
Sie lächelte, aber ihr stiegen die Tränen in die Augen. Falls wir je mehr waren als bloß zwei Kids, die nach einem vermissten Mädchen suchten, dann in diesem Augenblick. Ich suchte nach einer guten Antwort, aber da kam unser Essen. Das Steak sah gut aus, aber das Timing war furchtbar. Arrow wischte sich mit der Serviette die Augen und griff zu Messer und Gabel. Sie sagte: »Lass uns essen.«
Und das taten wir. Mein Steak war köstlich, es hatte gerade so viel Fett, dass das Fleisch nicht austrocknete. Die Kartoffeln waren auch gut, aber Kartoffeln kann ich auch selbst kochen. Arrow war offenbar der gleichen Meinung wie ich, denn sie aß mit derselben Geschwindigkeit und sprach dabei so wenig wie ich.
Als ich fürchtete, gleich zu platzen, legte ich Messer und Gabel nieder. Arrow nicht. Sie aß ihren Teller leer, bis nur noch das Porzellan übrig war, dann wischte sie sich geziert den Mund ab und sagte: »Das war echt gut.«
»Stimmt. Arrow, du musst mir einen Gefallen tun.«
»Einen Gefallen? Ich hab dir doch gesagt, dass ich nicht viel Geld habe.«
»Nicht so einen Gefallen. Ich arbeite im Moment noch an einem anderen Auftrag und könnte Hilfe brauchen.«
»Du meinst, ich kann dir helfen? Wie denn?«
»Für eine andere Auftraggeberin beobachte ich einen Jungen; sie glaubt, er hat sich mit den falschen Leuten eingelassen. Ich habe mir für morgen Abend eine Einladung zu einer Party besorgt, und wenn du mitkämst, würde ich nicht so fehl am Platze wirken. Ich muss eigentlich nur rausfinden, was ihn da antriggert, damit seine Mutter nachts wieder schlafen kann.«
»Okay.«
»Du machst es? Das war einfacher, als ich dachte.«
»Klar, warum nicht? Nickel?«
»Ja?«
»Wie hast du eine Einladung zu einer Party bekommen, auf der du niemanden kennst?«
Ich erzählte ihr von dem Facebook-Trick und sie lächelte; am Ende lachte sie sogar ein bisschen.
»Jedenfalls wird die Sache viel einfacher mit einem hübschen Mädchen an meiner Seite. Die Kerle merken dann nicht so schnell, dass ich über einen Kopf kleiner bin als alle anderen.«
»Meinst du wirklich?«
»Machst du Witze? Kerle sind Idioten.«
Sie errötete. »Nicht das. Dass ich hübsch bin.«
Ich mimte den knallharten Typen. »Arrow, ich weiß es.«
Sie lächelte mich an, und wenn ich in diesem Augenblick gestorben wäre, hätte es mir auch nichts ausgemacht.
Die Kellnerin brachte die Rechnung, und ich nahm sie an mich, ehe Arrow auf dieselbe Idee kommen konnte. Sie warf mir einen Blick zu und ich erwiderte ihn.
»Meine Idee, ich zahle.«
Ihr Blick besagte, sie habe geahnt, dass es so sein würde. Ich stopfte Geld in das Büchlein, in dem man in anständigen Restaurants die Rechnung bekommt, und sagte: »Gehen wir.«
Als wir an unseren Fahrrädern standen und die Ketten abwickelten, fragte Arrow: »Wie lautet der Plan?«
»Ich fahre nach Hause und mache mich fertig. Du motzt dich auf – Party-Stil – und fährst mit dem Fahrrad zu der Tankstelle gleich außerhalb von Four Oaks, der Mobil-Tankstelle. Ich hole dich da um sieben ab.«
»Hast du ein Auto?«
»Ein Taxi.«
»Oh, klar.«
Sie stieg aufs Fahrrad, ich ebenfalls und weg waren wir. Es war kein Date, das musste ich mir immer wieder sagen, aber es war schön gewesen, sich einmal richtig mit jemandem unterhalten zu können, die Fassade fallen zu lassen und einfach nur ein Kind zu sein. Tief drin bin ich nur jemand, der weiß, wie man überlebt, und dieser Mensch hat seinen ganz eigenen Regelsatz. Manchmal, wie heute, verrutscht die Fassade ein bisschen und ich kann normal sein. Am Ende gewinnt immer meine innere Stimme, aber heute hatte ich mit einem hübschen Mädchen im Restaurant gegessen. Das Lächeln auf meinen Lippen gehörte nicht zu meiner Rolle.
Kapitel 11
Ich stellte das Fahrrad in die Garage und schloss mit dem Schalter innen an der Wand die Tür hinter mir. Ging ins Haus und zog mich im Gehen aus. Warf T-Shirt und Hose Richtung Wäschekorb – beide rutschten vom Wäschestapel auf den Boden. Ich musste wirklich mal wieder waschen. Ich ignorierte die Unordnung nach Kräften und machte mich auf die Suche nach frischen Klamotten. Eine zerrissene Jeans und ein Dickies-T-Shirt. Dann dachte ich
Weitere Kostenlose Bücher