Nickel: Roman (German Edition)
zu Arrow. »Fertig?«
»Bist du sicher, dass du das tun willst?«
»Wie meinst du das?«
»Na, mir dein Haus zeigen und so. Falls du es dir anders überlegt hast, ich wäre nicht beleidigt.«
»Ich möchte, dass du mein Haus siehst. Sonst hat es noch niemand gesehen.«
Wir gingen los, mitten hinein in meine selbst gebastelte Vorstadtidylle. Ich zeigte ihr meinen ersten Briefkasten, erzählte ihr, wie ich ihn gebaut hatte, und sie nickte, als wäre siebeeindruckt. Wahrscheinlich war sie das sogar. Vor meinem Haus blieb ich stehen. »Da sind wir.«
»Das Haus da?«
»Ja. Was stimmt damit nicht?«
»Es ist so … na ja, so normal.«
»Was hast du denn erwartet? Eine Baumhausfestung?«
Sie wurde rot. Mein Herz fühlte sich an, als wollte es mir gleich aus der Brust springen.
»Nein … ich weiß nicht. Ehrlich gesagt, irgendwie schon. Es ist nett. Richtig nett. Richtig normal, aber nett.«
»Willst du sehen, wie es drinnen aussieht?«
»Ja, klar.«
Ich verbeugte mich wie ein altmodischer Butler und streckte den Arm aus.
»Gehen wir.«
Ich ließ sie vor mir her stolzieren und rannte in letzter Sekunde voraus, um die Tür zu öffnen. Arrow ging um mich herum ins Haus. Sie fragte: »Wo sind alle deine Sachen?«
»Wie meinst du das?«
Ich betrachtete mein Wohnzimmer, in dem eine Couch stand und sonst nichts und von dem aus es in eine Küche und ein Esszimmer mit einem Klapptisch und vier Stühlen ging. Es war wohl ziemlich spartanisch. Ehrlich gesagt hatte mich das bis jetzt nie interessiert.
»Du … hast keinen Fernseher?«
»Zu langsam, zu blöd.«
Sie nickte. Himmel, ich liebte dieses Mädchen. »Das stimmt eigentlich. Was ist da drin?«
»Schlafzimmer da, Arbeitszimmer da.«
»Sind das unsere Steaks?«
»Ja, warum?«
»Die sehen toll aus! Hast du die von Meijer?«
»Nein, Lob oder so was. Online.«
»Du hast für uns Steaks bei Lobel’s bestellt?«
»Ja. Warte, die sind doch gut, oder? Weil im Ernst, das bringt mich jetzt nicht um oder so, aber ich habe wirklich einen Haufen …«
»Wie bist du denn auf Lobel’s gekommen? Ich kenne die auch nur, weil so ein blöder Kumpel von meinem Dad bei irgendeiner bescheuerten Party die ganze Zeit davon geredet hat.«
»Einfach aufs Geratewohl.«
»Los, legen wir sie auf den Grill. Ist er schon heiß?«
»Ja, Ma’am.«
»Hol die Steaks, Blödmann.«
Wir gingen nach draußen, ich voran mit einem Teller voll Steaks auf dem Arm sowie Salz und Pfeffer. Ich war nicht sicher, wie ich den Mais erklären sollte, also ließ ich sie einfach fragen. »Du hast ja einen Acker!«
»Jep.«
»Nur Mais?«
»So in etwa.«
Sie steckte den Kopf zwischen die Pflanzen und zog ihn ruckartig zurück. »Du hast das Pot angebaut?«
»Ja.«
Ich öffnete den Grill, streute schwarzen Pfeffer auf die Steaks, ölte den Rost noch einmal ein und legte das Fleisch aufs Feuer. Es zischte laut und ich lächelte Arrow an. Dann schlossich den Deckel. Ich sah auf die Uhr, merkte mir die Zeit und sagte: »Fünf Minuten.«
»Hast du keine Angst, dass du erwischt wirst?«
»Doch.«
»Und warum …«
»Ich muss irgendwie Geld verdienen, und ich denke, damit tue ich niemandem weh. Ich nehme einen fairen Preis und produziere gute Ware. Alle gewinnen.«
Arrow entfernte sich ein Stück von mir, stellte sich vor den Mais- und Pot-Acker und sagte: »Ich will nicht umziehen. Ich habe drei Freundinnen, bei denen ich wohnen könnte, und meine Mom sagt sogar, das wäre okay, wenn ich das will, aber als ich es Shelby gesagt habe, hat sie gar nicht mehr aufgehört zu schreien. Ich gebe das nicht gern zu, aber manchmal wünschte ich, sie wäre einfach gestorben. Ich finde es nicht fair, dass sie das übersteht, aber hinterher so durch den Wind ist, dass sie kein normales Leben mehr führen kann.«
Ich wog meine Worte so genau ab, wie andere ihr Haushaltsbuch führen. »Es wird ein Weilchen dauern, bis es ihr wieder besser geht, und das hängt hauptsächlich von Shelby selbst ab, nicht von irgendeiner Beratung oder Medis oder sonst was.«
Fast hätte ich ihr von mir erzählt, die wahre Geschichte, aber den Drang unterband ich so schnell, wie er aufgekommen war. Das Haus war eines, aber so weit konnte ich nicht gehen. Ob zum Guten oder zum Schlechten, der Überlebenskünstler in mir – die Geheimnisse, die Sünden, meine oder die der anderen – gewinnt immer. Sie bekam die redigierte Fassung.
»Ich hatte eine total verkorkste Kindheit. Mein Dad starb, als ich noch klein war, und vorher
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