Nicodemus
erneuern, damit wir nicht als Werwolffutter enden?«
Nicodemus zuckte die Achseln. »So was in der Art. Es ist kompliziert. Manche Völker spielen nicht mit offenen Karten. Ich glaube, Shannon hat damals geholfen, den Zusammenstoß zwischen Zauberern und Oberpriestern zu verhindern. Aber ganz sicher bin ich mir nicht, er spricht nie vom Krieg.«
Eigentlich wollte Simple John »Simple John« sagen, doch stattdessen gähnte er nur. Nicodemus beendete das Spiel und schickte den Hünen ins Bett.
Nicodemus war schon halb aus dem Zimmer, da blieb er noch einmal in der Tür stehen. »Sag mal Dev, wann soll ich Shannon am besten noch mal fragen, ob ich unterrichten darf ? Jetzt, wo das Konzil begonnen hat, ist es wohl zu hektisch.«
Mit der Spitze ihres geflochtenen Zopfes klopfte sich Devin gegen das Kinn. »Je hektischer, desto besser. Denn je mehr die Zauberer zu tun haben, desto eher wollen sie den Unterricht auf ihre Lehrlinge abwälzen. Aber am Magister liegt es nicht, den musst du nicht erst überzeugen. Es sind eher die anderen Zauberer, die Magenschmerzen bekommen, wenn einer von uns vor einer Klasse steht.«
»Hast du schon mal mit Magister Smallwood zu tun gehabt?«
»Der goldige alte Linguist, der weniger gesunden Menschenverstand besitzt als eine volltrunkene Henne? Ja, eine Zeitlang habe ich ihm mal Shannons Nachrichten überbracht, damals, als du immer versucht hast, dieser Amy Hern untern Rock zu gehen. Hörst du eigentlich noch mal von ihr?«
Nicodemus verschränkte die Arme vor der Brust. »Nein, aber das ist auch egal. Ich hatte heute ein Gespräch mit Smallwood. NichtsWeltbewegendes. Aber er hat gesagt, ich sei Shannons ›jüngstes Kakographie-Projekt‹ oder sein neuer ›Lieblingskakograph‹. Hast du von irgendwelchen Gerüchten gehört, die man sich über den Magister erzählt?«
Devin ließ den Zopf fallen und sprang vom Bett. »Vergiss es. Smallwood ist einfach ein Obertrottel.« Sie ging zu ihrem Waschtisch und begann sich das Gesicht zu schrubben. »Also, in welchem Fach möchtest du denn gerne unterrichten?«
»Alles, was mit Kompositionslehre zu tun hat. Aber du weichst meiner Frage aus. Was erzählt man sich über Shannon und seinen ›Lieblingskakographen‹?«
Devin rubbelte sich das Gesicht ab. »Dummes, fieses Getratsche unter Gelehrten, nichts weiter.«
»Ich kenne dich jetzt seit neun Jahren, Dev, und noch nie habe ich erlebt, dass du eine Gelegenheit zum Tratschen auslässt.«
»Dann mal her mit dem Tratsch. Ich hatte Amy Hern schon ganz vergessen. Ist sie nicht nach Starfall gegangen? Schick ihr doch mit dem nächsten Colaboris-Zauber ein paar Worte.«
Nicodemus wartete, bis Devin sich das Gesicht fertig abgetrocknet hatte. »Was ist jetzt mit den Gerüchten, Dev?«
Prüfend sah sie ihn an. »Ein andermal, Nico, es ist schon spät.«
»Ich werde es nicht vergessen.«
»Nein«, seufzte sie. »Das wirst du nicht.«
Kapitel 8
Der Gimhurst-Turm lag am südlichen Rand der besiedelten Gebiete in Starhaven. Zu Zeiten der lornischen Besetzung hatte hier einst das Gericht des Lord Governor getagt, doch abgesehen von dem Skriptorium im obersten Geschoss stand das Gebäude jetzt leer.
Mit Azure auf der Schulter schlich Shannon durch den Treppenlauf im zehnten Stock. Durch die Augen des Papageien betrachtete er das Mondlicht, wie es schräg durch die Fenster hineinfiel und sich über den Schieferboden ergoss. Der Widerschein erhellte auch die gegenüberliegende Wandseite mit ihren reichhaltigen Verzierungen. Die Flachreliefs waren typisch für das ästhetische Empfinden der Lornier: scharf hervortretende Figuren, anmutig, ohne sich in Einzelheiten zu verlieren.
Langsam ging Shannon an gemeißelten Rittern, Schlangen und Seraphen vorüber. Letztere waren mit einer ramponierten goldblättrigen Gloriole bekränzt.
Azure hatte auf den Dächern nichts Ungewöhnliches ausmachen können. Doch das hatte Shannons dringendes Bedürfnis, mehr zu erfahren, nur noch verstärkt und ihn zu diesem nächtlichen Streifzug bewogen.
Zwischen zwei Reliefs zu seiner Linken war eine Holztür eingelassen. Shannon setzte Azure auf das gegenüberliegende Fensterbrett und befahl ihr, sofort Alarm zu schlagen, wenn sich jemand nähern sollte. Irgendwo draußen im Dunkel der Nacht schrie eine Krähe. Er wandte sich wieder der Tür zu, hinter der Nora Finns »Privatbibliothek« lag.
Viele Gelehrte misstrauten ihresgleichen und verbargen ihre wichtigsten Aufzeichnungen in gut geschützten Geheimarchiven.
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