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Nicodemus

Nicodemus

Titel: Nicodemus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blake Charlton
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Shannons Forschung hatte sich ebenfalls auf textliche Intelligenz konzentriert, deshalb besaß er viele der Bücher, die auch hier in Noras Privatbibliothek standen.
    Eine alte, ihm unbekannte Handschrift erregte seine Aufmerksamkeit. Ganz alleine lag sie im hinteren Teil des Raumes, offenbar auf einem niedrigen Regal oder einer Truhe. Vorsichtig durchschritt er die Bibliothek und nahm das Manuskript an sich. Es handelte sich um Noras persönliches Forschungstagebuch.
    Shannon blätterte durch die ersten paar Seiten. Minutiös hatte sie dargelegt, wie Wasserspeier Informationen auswählen, um sie ihren Artgenossen mitzuteilen. Wenn er dieses Buch nur für eine Stunde mit in sein Studierzimmer nehmen könnte, würde das seine eigene Forschung gewaltig voranbringen.
    Kurze Zeit rang er mit seinem Ehrgeiz, doch dann siegte der Anstand. »Morgen wird es mir leid tun«, murrte er, denn die Moral gebot ihm, das Buch nur durchzublättern, statt es mitzunehmen. Zum Ende hin fanden sich persönliche Einträge, die datiert waren.
    Zumeist handelten sie von Ärgernissen mit Bibliothekaren, Lehrlingen und Kollegen. Zweimal verdunkelte sich seine Miene, als er abschätzige Bemerkungen über »diesen aufgeblasenen Shannon« las.
    Erst als er auf einen Eintrag von vor elf Jahren stieß, wurde er hellhörig: »Sendschreiben eines spirischen Adligen. Wollte ›seinen schlafenden Sohn sehen‹. Sein Vater? Junge neu im S. Turm. Bezahlung in Goldmünzen.«
    Im darauffolgenden Winter hatte Nora notiert: »Spirischer Meister gekommen, um schlafenden Jungen im S.Turm zu sehen.« Zwei Tage später dann: »Geld vom Spiren.«
    »Bei Los’ feurigem Blut! Nora hat sich von einem Edelmann schmieren lassen?«, raunte Shannon. In Astrophell und Starfall Keep war das Bestechen von Zauberern an der Tagesordnung. Aber Starhaven, das als einzige Akademie fernab aller menschlichen Königreiche lag, war von solchen korrupten Machenschaften bislang verschont geblieben.
    Shannon fragte sich, ob er zu unvorsichtig geworden war. Ungeachtet ihres beruflichen Wettstreits hatte er aufgehört, Nachforschungen über Noras Privatleben anzustellen – in Astrophell wäre ihm das nie in den Sinn gekommen.
    Er las die Tagebucheinträge noch einmal. Mit »S. Turm« war ganz klar der Speicherturm gemeint. Doch warum würde jemand Geld zahlen, nur um ein schlafendes Kind zu sehen? Offenbar hatte Nora diesen Mann für den Vater des Jungen gehalten.
    Stirnrunzelnd betrachtete Shannon die Formulierung »Junge neu im S. Turm« und überlegte, welche Kakographen vor elf Jahren in den Speicherturm gezogen waren.
    Auf einmal überlief es ihn eiskalt: Nicodemus war der Einzige gewesen.
    Außerdem hatte die Akademie in jenem Jahr Nicodemus’ Kakographie als Beweis dafür genommen hatte, dass er nicht der Halkyon sein konnte.
    »Der Schöpfer sei uns gnädig«, murmelte Shannon. Möglicherweise hatte die Akademie Nicodemus’ Verbindung zur Prophezeiung des Erasmus falsch gedeutet. In diesem Fall waren die Tage bis zum Krieg der Sprachen, der letzten Schlacht, um die menschliche Sprache vor dämonischer Korruption zu retten, gezählt.
    Shannon blätterte weiter durch die Aufzeichnungen. In einem Abstand von vier Jahren fand er noch zwei weitere Einträge, die jeweils lauteten »Meister gekommen, um Jungen zu sehen« , gefolgt von »Geld vom Spiren« . Im letzten Eintrag, der das Datum von vor zwei Tagen trug, hieß es: »Meisters Bot. missverstanden? Kein Treffen, aber sonderliche Träume davon.«
    Wer auch immer Nora bestochen hatte, hatte die Modalitäten geändert. War es diese Person gewesen, die sie anschließend auch von der Brücke gestoßen hatte?
    Als er bei der letzten Seite angelangt war, verschlug es ihm den Atem. Quer über die Seite war ein Zauber aus scharfen Worten gekritzelt. Der gefährliche Text erstrahlte in silbrig glitzerndem Magnus.
    Die ebenen Flächen der Magnusrunen waren hart wie Stahl,ihre Kanten scharf wie ein Rasiermesser. Je nachdem wie sie angeordnet waren, konnten die Magnussätze ein nahezu unauflösliches Seil oder aber eine tödliche Klinge bilden. Schon ein flüchtiger Angriffszauber aus Magnus konnte tödlich sein und der, den Shannon vor sich hatte, war alles andere als flüchtig. Seit dem Spirischen Bürgerkrieg hatte er nicht mehr derartig gefährliche Waffen gesehen.
    »Himmlische Feuersbrunst«, fluchte er und schloss das Buch. »In welches Schlangennest bist du da nur hineingeraten, Nora?«
    Shannon streckte die Hände nach dem Holz

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