Nie mehr Nacht (German Edition)
er sich vor mir auf, steckte sich wie der junge Belmondo die Fluppe unter den ramponierten Zinken und entstülpte einem Hosensack ein Bündel Geldnoten, das er mit Daumenschnippen auseinanderklappte.
So kam ich zu genug Bargeld, um davon einen oder zwei Monate lang existieren zu können. Als ich aus dem Schrotthof trat und tief einatmete, ehe ich mich in Richtung Bushaltestelle in Bewegung setzte, rechnete ich nach, wie viel Geld auf meinem Konto sein musste, und überschlug dann, wie viel Saskia überweisen würde, sobald ich das Studio und den ganzen Krempel darin los war. Selbst wenn ich die errechnete Summe niedrig hielt, reichte sie für ein gutes halbes Jahr.
Den Mercedes würde ich nie wiedersehen. Er gehörte jetzt dem dicken Didier und dessen Vater, die ihn genauso weiterverscherbeln würden wie das L’Angleterre . Es half einem nicht weiter, sich von den Dingen bloß zu trennen. Vor allem musste man sie vergessen, nur wie stellte man das an? So viele in der Welt herumliegende Dinge – Schals, Schirme, Schrott – kamen mir vor, als hätte ich selber sie vergessen. An die beiden Schrotthändler würde ich schon in einer Stunde nicht mehr denken. Ich musste den geliebten früheren Wagen meines Vaters nur ebenso erfolgreich verdrängen. Er würde nie in seinem neuen Carport stehen.
Didier hatte mir geraten, nach Saint-Loup-Hors hineinzugehen, dort fuhr ein Bus ins Bayeuxer Zentrum. Als ich auf der Rue Saint-Lô dahintrottete und mir vorzustellen versuchte, was mich bei FNAC erwartete, fuhr der über und über mit Werbung für ein isotonisches Getränk beklebte Bus an mir vorbei, und es dauerte nicht lange, bis ich an einer Haltestelle auf einem tristen baumlosen Platz nachlesen konnte, dass der nächste erst in vier Stunden kam.
Um vier Stunden mit Nichtstun in einem Haltestellenhäuschen zu verbringen, waren meine Auflösungserscheinungen noch nicht weit genug vorangeschritten. Ich ging zu Fuß, ging los und hielt mich einfach an die Wegweiser. Aber sehr weit kam ich nicht. Ein schwarzer BMW stoppte, das Beifahrerfenster fuhr runter, und am Steuer saß Flauberts Sekretärin und lachte mich an. Sie hatte kurzes blondes Haar und so silbern getuschte Wimpern, dass ihre Augen wie aus Chrom schienen.
Annik war ein Himmelsgeschenk. Sie sprach gut Deutsch, hatte Zeit, war kurzentschlossen und nicht zimperlich, ein heller Kopf mit einem Herz für Mitmenschen, die sich am Rand hielten. »She’s lost control« von Joy Division lief in dem alten 3er, und spätestens als ich Ian Curtis von Fehlern und Irrtümern singen hörte, die eine Frau immer wieder zum Schreien brachten, fragte ich mich, wieso ausgerechnet diese junge Frau in Flauberts Baracke saß und für den alten Schrotthändler und seinen Sohn Kaffee kochte.
Aber sie hatte doch Feierabend! Annik war bester Laune. Der Schrotthandel gefiel ihr, immer kam jemand anderes auf den Hof, denn Schrott hatte jeder, nur wussten es die meisten nicht. Monsieur war ein angenehmer Chef, bloß Didier musste man sich mitunter vom Leib halten, einmal in der Woche blähte er sich zu einem Ballon, auf dem NACHFOLGER stand, doch sonst war er … ein guter Mensch.
Sie bestand darauf, mich direkt bis zum FNAC -Hintereingang zu fahren, da konnte sie halten, und sie fragte, ob ich wirklich Zeichner war, wie Monsieur ihr erzählt hatte, und warum ich den Mercedes verkaufte.
»Ja«, sagte ich lustlos und dachte den Satz im Stillen zu Ende: Zumindest war ich das mal, ein Zeichner.
Es war nicht weit bis in die Innenstadt, doch es war viel Verkehr und die City voller Leute. Ich erzählte, dass ich erst nächstes Jahr zurückginge nach Deutschland, wenn überhaupt, und dass ich mir im Bessin vielleicht ein Haus kaufen wollte, woran ich nie im Leben gedacht hatte und auch jetzt nicht dachte. Ich wollte mal einfach nichts tun, sagte ich, und dazu brauchte ich keinen Wagen. Der Daimler sei eh zu groß gewesen.
»Für mich«, sagte Annik, »kann ein Auto gar nicht groß genug sein. Vielleicht«, sie lachte, »kaufe ich Ihren Mercedes! Ich bekomme Rabatt, und nicht wenig! Denn der hier, das ist der BMW meines Prinzen. Ein Kratzer, und ich bin nicht mehr.«
Von der Seite musterte ich sie. Sie war Anfang dreißig, etwas füllig, nicht hübsch, aber anziehend. Ich hatte eine Jugendfreundin gehabt, an die Annik mich erinnerte. Vor dem Gymnasium, unter einer jungen Platane, hatte sie mir im Beisein von Kevin Brennicke und Gordian Rogalla eines Tages einen grünen Zettel in die Hand
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