Nie Wirst Du Entkommen
15. März, 11.55 Uhr
David Bacon war ein unschuldiger Mensch, den die Polizei grundlos piesackte.
Davon war jedenfalls Bacons Mutter überzeugt, die die beiden Detectives durch die Fliegengittertür anstarrte. Die verhärmte, alte Frau war über siebzig, hatte schütteres schwarzes Haar mit einer weißen Strähne darin, und ihre dünnen Lippen waren leuchtend rot bemalt. Der Geruch von Mottenkugeln und Katzen drang ihnen entgegen.
»Wir wollen ihn nicht piesacken«, versicherte Murphy ihr. »Können wir reinkommen?«
»Er ist nicht da«, fuhr sie ihn an. »Und sie können nicht reinkommen.«
»Wir kommen gerade von der Adresse, die er dem Bewährungshelfer gegeben hat, Mrs. Bacon«, sagte Aidan, während er versuchte, an ihr vorbei ins Wohnzimmer zu sehen. »Es handelt sich um ein Tiergeschäft. Das ist eine Verletzung der Bewährungsauflagen.«
Sie erbleichte, wodurch das Rouge auf ihren Wangen hervorstach. »Sie können ihn nicht wieder ins Gefängnis stecken. Das bringt ihn um.«
Bloß nicht. Das Vergnügen will ich mir nicht nehmen lassen.
Und Vito Ciccotelli wohl auch nicht. »Wo ist er, Mrs. Bacon? Wohnt er hier bei Ihnen?«
»Nein, das schwöre ich. Er ist ausgezogen.« Und hatte sie damit schwer gekränkt, das konnte man sehen. »Er meinte, er brauchte mehr Raum für sich. Ich weiß nicht, wo er jetzt ist. Bitte gehen Sie jetzt.«
Aidan und Murphy tauschten einen Blick aus, und Murphy nickte. »Ich fürchte, Sie werden mit uns kommen müssen, Mrs. Bacon«, sagte er.
Ihre Kinnlade fiel herab. »Bin ich verhaftet?«
»Nein, Ma’am.« Murphys Stimme war täuschend freundlich. »Wir möchten nur, dass Sie uns ein paar Fragen beantworten, weil Ihr Sohn das im Moment nicht tun kann.«
Und damit sie ihn nicht anrufen und warnen konnte.
Ihre dünnen roten Lippen bebten. »Aber ich kann nicht.« Sie deutete schwach hinter sich. »Meine Katzen. Wer wird sich um sie kümmern?«
»Sie werden ja nicht lange weg sein, Ma’am«, sagte Aidan. »Sie können ihnen etwas Futter und Wasser hinstellen, wenn Sie mögen, aber dann müssen wir Sie dabei begleiten.«
Sie folgten ihr durch die Küche in die Waschküche, wo sie vier kleine Schüsseln mit Katzenfutter füllte. Hier roch es noch schlimmer als im Wohnzimmer, und der riesige Mülleimer quoll über.
Aidan hielt den Atem an und ließ seinen Blick durch den kleinen Raum schweifen. Auf dem Trockner stand ein Wäschekorb. Säuberlich gefaltet lagen obenauf einige kurzärmelige Polohemden. Männer-Polohemden. Auf der Brust war das Emblem von Wires-N-Widgets genäht, einer ortsansässige Kette von Läden, in denen man eine große Anwahl an elektronischen Kinkerlitzchen bekam. Leise räusperte Aidan sich, und Murphy folgte seinem Blick. Und lächelte leicht.
»Holen wir Ihren Mantel, Ma’am«, sagte Murphy. »Es ist kalt draußen.«
Mittwoch, 15. März, 12.15 Uhr
»Noch Kaffee?«, fragte die Kellnerin hinter der Theke. Es war ein besseres, kleines Restaurant, eingerichtet im Stil der Vierziger, das den Betrachter an Kulissen aus Filmklassikern erinnerte. Da es sich neben dem Art Institute befand, herrschte hier eine bunte Mischung aus Geschäftsleuten und Akademikern, und die Luft war erfüllt mit Diskussionen und aufgeregten Gesprächen. Niemand achtete auf eine einsame Person, die an einem kalten Mittag vor ihrer Kaffeetasse saß.
Normalerweise war dies ein Ort zum Nachdenken. Heute eher zum Grübeln.
»Ja, bitte, aber nur halbvoll. Danke.« Etwas war schiefgelaufen. Ein loser, nicht vernähter Faden hatte das ganze Konstrukt des Plans gefährdet. Eine Kamera in Ciccotellis Badezimmer. Wer hätte auch an so etwas denken können?
Ich hätte es tun müssen. Ich hätte alles genau überprüfen müssen. Ich hätte ihn töten sollen.
Aber eine solche Tötung zog nach sich, dass man eine Leiche verschwinden lassen musste, was wiederum nur noch mehr mögliche Angriffsflächen bot. Bacon einzusetzen war ein kalkuliertes Risiko gewesen. Wer ein Risiko einging, musste auch mit einem Fehlschlag rechnen.
Nun waren Filme im Umlauf, deren Inhalt … nicht kontrolliert war.
Und wann versucht er, mich zu erpressen?
Dieser Faden musste abgeschnitten werden. So schnell wie möglich.
Der Kaffee hinterließ einen bitteren Geschmack im Mund, aber noch bitterer war das Wissen, dass Ciccotelli einmal mehr auf den Füßen gelandet war. Die Cops hatten einen Schutzwall um sie errichtet.
Sie hatte eine Nacht mit Reagan verbracht. Schlampe.
Ja, jetzt, Aidan. Du hast mir
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