Nie Wirst Du Entkommen
mich jemand auf die Sache mit Marie anspricht, aber es ist nichts passiert. Die Cops kamen in der fünften Stunde und haben die Mistkerle eingesammelt.«
»Also hat Marie gesagt, wer sie vergewaltigt hat?«
Rachel schloss die Augen. »Vermute ich. Sie war heute wieder nicht in der Schule, aber es gingen Gerüchte um, dass ihr Vater nach der ersten Stunde beim Rektor war und einen Riesenaufstand gemacht hat, also scheinen ihre Eltern es jetzt zu wissen.« Sie schlug die Augen auf und sah ihn bittend an. »Habe ich das Richtige getan, Aidan?«
Er drückte sie an sich. »Ja, Kleines, das hast du.« Er hoffte, dass er die Wahrheit sagte.
Tess kam mit dem Telefon in der Hand zurück. »Vito will mit dir reden.«
»Wer ist Vito?«, hörte er Rachel fragen, als Tess sich neben sie setzte.
»
Mein
großer Bruder«, antwortete Tess. Sie tippte auf Rachels Buch. »Was ist das?«
»Kurvendiskussion.« Rachel verzog das Gesicht. »Und ich kapier’s nicht.«
Tess beugte sich über das Buch. »Vor langer, langer Zeit in einer fernen Galaxie konnte ich das mal. Lass mich sehen, ob es vielleicht noch geht …«
Aidan schloss die Tür zur Waschküche. »Ja, Vito? Was gibt’s?«
»Ihr Nachbarkind hat mich geweckt.«
»Zwölf Jahre? Sommersprossen? Er geht manchmal mit meinem Hund.«
»Tja, das wollte er diesmal nicht. Er hat beinahe die Cops gerufen, als ich die Tür aufmachte. Wollte einfach nicht glauben, dass ich zu Gast bin.«
»Er will auch zur Polizei«, sagte Aidan mit Zuneigung in der Stimme. »Er ist ein netter Bursche.«
»Ja.« Vito lachte beißend. »Ihnen gegenüber vielleicht. Er wollte erst mit mir reden, nachdem ich ihm so gut wie jeden Ausweis gezeigt hatte, den ich besitze. Er sagt, ein paar Häuser weiter steht auf der Straße den ganzen Nachmittag schon ein Auto. Ein Typ drin, groß, rasierter Schädel.«
Aidans Nackenhaare stellten sich auf. Clayborn. »Scheiße. Woher weiß er, dass Tess bei mir ist? Woher hat der Kerl meine Adresse?«
»Keine Ahnung. Der Junge sagte, er wollte es Ihnen eigentlich erzählen, sobald Sie nach Hause kommen, aber er hätte bei einem Videospiel die Zeit vergessen.«
»Der Wagen wird wohl jetzt nicht mehr da stehen.«
»Ich bin schon zweimal um den Block gegangen und habe nichts gesehen. Hören Sie, ich habe ein paar Dinge zu erledigen. Sie bleibt bei Ihnen?«
»Ich lasse sie nicht aus den Augen. Da können Sie sicher sein.«
»Haben Sie den Mistkerl erwischt, der ihr die CD geschickt hat?«
»In gewisser Hinsicht. Er ist tot. Sieht aus, als hätte er Selbstmord begangen.«
Vito war einen Moment still. »Sieht aus?«
»Im Moment. Sagen wir einfach, es sind noch nicht alle Fragen beantwortet. Wo finden wir Sie? Später, meine ich.«
»Ich werde im Hotel sein.« Vitos Tonfall veränderte sich. Nun klang er leicht drohend. »Sagen Sie Tess, dass ich sie in ein paar Stunden abhole. Ich habe ihr ein Zimmer besorgt, dann kann sie bei mir bleiben.«
Aidans Lippen zuckten bei der kaum verschlüsselten Warnung, die Finger von Vitos Schwester zu lassen. »Ich sag’s ihr.« Ob sie Vitos Forderung entspräche, würde eine ganz andere Sache sein.
Er kehrte in die Küche zurück, wo Tess und Rachel ins Gespräch vertieft waren. Tess hatte Rachels Stift in der Hand und erklärte ihr die Hausaufgabe.
Seine Mutter kehrte zurück und fummelte am Kragen des Pullis herum. »Und?«
Aidan strahlte sie an. »Tess hat recht, Mom. Die Farbe passt zu dir.«
Draußen hörte man eine Autotür zuschlagen. »Dein Vater ist da«, sagte Becca. Ihr Lächeln war einem besorgten Ausdruck gewichen. Aidan sah, wie sie Tess einen kurzen Blick zuwarf, als sein Vater auch schon hereinpolterte.
Tess war Becca Reagans Blick ebenfalls nicht entgangen. Sie sah wachsam auf, als ein Mann von draußen hereinkam. Er war so groß wie Aidan, und sein schwarzes Haar war mit Grau durchzogen, aber die Augen waren von demselben intensiven Blau. Und plötzlich herrschte in der Küche eine spürbare Spannung.
»Dad«, sagte Aidan. »Das ist Tess Ciccotelli. Tess, mein Vater, Kyle Reagan.«
Kyle Reagan, der Ex-Polizist. Kyle Reagan, der sie nun unter buschigen Augenbrauen finster anblickte. Tess sog die Luft ein. »Nett, Sie kennenzulernen, Sir.«
Er stand nur einen Moment da, dann wandte er sich zu Aidan um. »Was hat sie hier zu suchen?«
»Kyle!«, sagte Becca empört. »Das reicht.«
Mit einem Grunzen stolzierte er vorbei und ging ins Wohnzimmer. »Keine Sorge«, sagte Rachel fröhlich. »Kristen
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