Nie Wirst Du Entkommen
Decke. »Die meiste Zeit hat er mich allerdings nur ängstlich beobachtet, als sei ich eine Zeitbombe oder etwas Ähnliches. Er konnte mit Krankheit nicht gut umgehen.«
»Was macht er? Beruflich, meine ich.«
»Er ist auch Arzt. Ich habe ihn genau wie Jon an der Uni kennengelernt.«
Er runzelte die Stirn. »Und er kann mit Krankheit nicht gut umgehen? Ist das denn nicht quasi eine Grundvoraussetzung für den Job?«
»Deswegen ist er auch in die Forschung gegangen.«
»Und wieso warst du krank? Hat Vito das gemeint, als er sagte, du seiest zu dünn?«
»Vito hält mich immer für zu dünn.«
»Du weichst meiner Frage aus, Tess.«
Sie seufzte. »Ich liege hier splitterfasernackt, und du willst, dass ich über Krankheiten spreche? Das ist nicht normal, Aidan.«
Er rieb die Nase an ihrer Brust und küsste den Nippel innig genug, dass sie nach Luft schnappte, und sanft genug, dass sie sich ihm entgegenreckte. »Sag mir, was ich wissen will, dann kümmere ich mich um andere Themengebiete.«
Sie lachte. »Ist das deine übliche Verhörtechnik?«
»Tess«, warnte er. »Ich meine es ernst.«
Sie seufzte wieder. »Das ist peinlich, okay? Ich rede nicht gerne drüber, weil es peinlich ist. Nachdem Phillip mich aus dem Krankenhaus geholt hatte, sollte ich eigentlich eine Woche zu Hause bleiben und dann wieder arbeiten gehen, aber immer, wenn ich aufstand, wurde mir schlecht. Ich war tatsächlich arbeiten, hing aber fünfundsiebzig Prozent der Zeit überm Praxisklo und habe mir die Seele aus dem Leib gekotzt.«
»Was war denn?«
Sie sah ihn finster an. »Nichts. Ich habe sämtliche bekannten Tests gemacht, aber niemand konnte einen Grund finden.«
»Also psychosomatisch.«
Sie verdrehte die Augen. »Posttraumatische Stressstörung hat der Arzt es schließlich genannt. Es war demütigend. Ich bin Psychiaterin, und mein Unterbewusstsein stellte sich quer. Ich hatte Angst zu arbeiten.« Sie zuckte die Achseln. »Aber dann war es ohnehin egal. Drei Wochen später war ich meinen Vertrag mit dem Gerichtshof los und musste mir keine Gedanken mehr über Knastis mit Kette machen.«
»Wurde es wieder besser?«
Sie blickte wieder an die Decke. »Tatsächlich wurde es sehr viel schlimmer. Phillip verlor die Geduld mit mir. Er war so besorgt, wie er sein konnte, aber er stand mehr auf gesunde Freundinnen. Er wollte … Sex. Und ich konnte nicht. Ich konnte nichts essen. Ich konnte mich kaum selbst anziehen, geschweige denn irgendwelche Akrobatik im Bett vollbringen.« Sie wechselte das Thema. »Er war immer viel unterwegs, also gab er Robin und Jon die Schlüssel. Amy hatte schon welche. Sie kamen vorbei, wann immer ich zu schlapp zum Arbeiten war. Sahen nach mir. Machten mir Suppe.« Sie schnitt eine Grimasse. »Ich hasse Suppe. Obwohl Robins eigentlich gut schmecken. Amys Suppe allerdings war furchtbar. Sie kocht nicht besonders gut.«
»Ich werd’s mir merken. Also eine Suppenphobikerin«, fügte er hinzu, und sie kicherte. »Und was ist mit Dr. Zur-Hölle-mit-ihm passiert?«
»Nach ein paar Monaten erzwungener Abstinenz beschloss er, seine Bedürfnisse woanders zu stillen.« Der Schmerz tauchte wieder auf, doch er war nicht mehr so vernichtend. »Er hat sie in mein Bett geholt.«
Aidan sah sie ruhig an. »Ziemlich billig von ihm.«
Sie kicherte wieder. »Ja. Und noch billiger von ihr, einen Ohrring unter meinem Kissen liegen zu lassen und den Slip zwischen Matratze und Bettkasten zu stopfen. Es passierte, während ich in der Praxis war. Als ich wiederkam, war er weg. Ihr Parfüm nicht.«
»Hast du es ihm auf den Kopf zugesagt?«
»O ja. Und er hat es auch gar nicht geleugnet. Er hat einfach seine Sachen gepackt und ist abgehauen. Hat sich sonst nicht geäußert. Seitdem haben wir kein Wort mehr miteinander gesprochen. Das ist alles.«
»Und wann ging es dir langsam besser?«
»Nach den Flitterwochen.«
Er zog die Brauen hoch. »Bitte?«
»Die Tickets für die Kreuzfahrt konnten nicht zurückgegeben werden, also haben Amy und ich uns die mexikanische Küste hoch- und wieder runtergesoffen. Irgendwann auf der Reise ging die Übelkeit weg, und als ich nach Hause kam, konnte ich wieder arbeiten. Alle meine Freunde wussten natürlich, was geschehen war. Man kann eine große Hochzeit nicht zwei Wochen vor dem Termin absagen, ohne eine Erklärung abzugeben. Phillip ist in unserer kleinen Gruppe zu einer Persona non grata geworden. Neulich habe ich noch gehört, dass er eine neue Freundin hat. Eine reiche Schlampe
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