Nie Wirst Du Entkommen
Geld. Sie war ein guter Mensch, und ich mochte sie. Außerdem habe ich so viel von ihr gelernt …« Ihre Kehle verengte sich. »Und von Harrison auch. Sie haben mich in die Praxis geholt, als ich meine Lizenz hatte. Als Eleanor starb, dachte ich, Harrison würde sich einen erfahreneren Partner reinholen, aber er meinte, er habe sich an mich gewöhnt und bat mich, zu bleiben.« Sie hob ihr Kinn. »Aber sie haben mich nicht ›gemacht‹. Sie haben mir dabei geholfen, aus mir etwas zu machen.«
»Woher kannte Denise diese Geschichte? Oder wusste das jeder?«
»Ich weiß nicht. Meine Freunde natürlich. Phillip auch. Warum?«
»Weil es die Saat ist, die deine Sekretärin dazu gebracht hat, dich zu hassen.«
»Ich kann mir trotzdem nicht vorstellen, dass Denise all diese Selbstmorde geplant haben soll. Ehrlich gesagt ist sie nicht so besonders schlau.«
»Aber sie kannte den Typen auf dem Foto«, sagte Spinnelli. »Der die Kameras in Sewards Wohnung installiert hat. Vielleicht war er auch in Ihrer Wohnung.«
Sie dachte darüber nach. »Sie haben recht. Sie muss diejenige gewesen sein, die ihn reingelassen hat, auch wenn sie vielleicht nicht wusste, was er vorhatte. Ich will mir nicht vorstellen, dass sie es doch wusste.« Sie rieb sich die Schläfen und sah zu Aidan auf. »Du denkst, dass Phillip etwas damit zu tun hat.«
Aidan erwiderte ihren Blick direkt. »Hast du nicht auch schon daran gedacht?«
»Vielleicht. Auch bei ihm kann ich mir nicht vorstellen, dass er so etwas tut, aber ich hätte auch nie gedacht, dass Denise so viel aufgestauten Zorn in sich hat. Ich mochte sie zwar nicht sonderlich, aber ich habe ihr auch nicht
nicht
vertraut, wenn du weißt, was ich meine.«
Aidans Handy klingelte. »Murphy? … Hat Sie? Gut. Sag mir Bescheid, wenn sie anhält.« Er klappte das Handy zu. »Murphy fährt ihr nach. Sie hat von einem öffentlichen Telefon aus jemanden angerufen. Ich lasse die Nummer ermitteln.«
Tess musterte das Foto, dass Aidan Denise gezeigt hatte. »Ich habe diesen Kerl schon mal gesehen, aber ich weiß nicht mehr wo oder wann. Kannst du mir einen Abzug geben? Vielleicht frischt das meine Erinnerung auf.«
Aidan führte sie zu Tür. »Mache ich. Hör zu, ich muss noch etwas erledigen, bevor ich nach Hause fahre. Wenn ich später komme, warte unbedingt auf mich. Geh nicht allein raus. Wie kommst du nach Hause?«
»Vito wartet unten. Aidan, ich muss die Leute warnen, die mich kennen.«
»Du kannst deinen Freunden sagen, sie sollen besonders vorsichtig sein. Aber sag nichts von der Botschaft.«
»Du wirst beurteilt nach den Leuten, mit denen du verkehrst«, wiederholte Tess bitter. »Keine Sorge.«
Donnerstag, 16. März, 19.15 Uhr
A idan legte ihr den Arm um die Taille, als sie vor der Tür des Beerdigungsinstituts zögerte. »Bereit?«
Tess nickte abgehackt. »Ich denke schon.« Aber sie zitterte.
»Komm, bringen wir es hinter uns. Dann fahren wir nach Hause, damit dein Vater mich würgen kann.«
Sie kicherte, wie er gehofft hatte. »Er wird dich nicht würgen. Hoffe ich jedenfalls.«
Ein schwarzgekleideter Mann wies ihnen den Weg zu einem Raum voller Männer in Anzügen und Frauen in geschmackvollen Kleidern.
Ein Querschnitt der Chicagoer High Society,
dachte Aidan, als er in einigen Leuten Gäste von Shelleys Stiefvater wiedererkannte.
Schweigen legte sich über den Raum, als sie eintraten, bis nur noch die klassische Musik zu hören war, die aus den Lautsprechern klang. Eine zartgebaute Frau stand, flankiert von Harrisons Kindern, neben dem Mahagonisarg.
»Willst du, dass ich mit dir zu ihr gehe?«, murmelte Aidan.
»Nein. Bleib hier. Ich muss ihr etwas sagen, aber es wird nicht lange dauern.« Sie umarmte Flo, flüsterte ihr etwas ins Ohr, und Flo verharrte reglos, während stumme Tränen über ihre Wangen liefen und ihr Mund sich zu einem zittrigen Lächeln verzog. Tess kehrte zu Aidan zurück.
»Was hast du ihr gesagt?«, fragte er und schob ihr die Hand unter das Haar.
»Dass Harrisons letzte Worte lauteten, er liebe sie. Sie wusste es, aber sie musste es noch einmal hören.«
»Dann bin ich froh, dass wir hergekommen sind.« Er blickte sich über ihren Kopf hinweg im Raum um. »Kennst du jemanden hier?«
Sie betrachtete die Menschenmenge. »Ich kenne einige, aber niemanden, der mich hasst.«
»Lass uns noch ein wenig bleiben«, murmelte er. »Vielleicht tauchen noch andere auf. Ich halte mich zurück und beobachte. Du kannst dich unters Volk mischen.«
Der Erste,
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