Nie Wirst Du Entkommen
sauberen Stapel zusammenschob. Er stellte sich vor, wie sich diese Rundungen in Männerhänden anfühlen mochten. Unter den Händen seines Partners. Und dieses Bild gefiel ihm überhaupt nicht.
Er beobachtete, wie sie ihre Sachen zusammenpackte und mit ihrer Anwältin aus dem Raum kam. Sie wirkte nicht überrascht, ihn dort noch stehen zu sehen, und auch das gefiel ihm überhaupt nicht.
»Detective«, sagte sie und klang genauso wie in der Nacht zuvor. »Ich weiß, dass Sie bei dem Prozess gegen Harold Green dabei gewesen sind, und ich weiß, was Sie über mich denken. Zu sagen, dass Sie sich irren, bringt im Moment wenig.«
Die Tonlosigkeit ihrer Stimme ließ die Härchen in seinem Nacken zu Berge stehen. Er sah ihr in die Augen und nickte. »Da haben Sie recht, Dr. Ciccotelli. Das würde nichts bringen. Wir müssen die Beweise, die wir haben, auswerten. Um Cynthia Adams’ willen.«
»Tess.« Ihre Anwältin zupfte an ihrem Arm. »Gehen wir.«
»Nein, Amy, Moment noch.« Sie blickte zur Seite, dann wieder zu ihm, der Blick durchdringend und … traurig. Das warf ihn aus der Bahn. Aber nur ganz kurz. »Detective Reagan, jemand wollte, dass Cynthia stirbt, und ich war es nicht. Bitte.« Dann tat sie das Unerwartete, griff nach seinem Unterarm, und es traf ihn am ganzen Körper. Sein Herz jagte im Galopp davon, und mit einem Mal schien es nicht genug Luft im Raum zu geben. Er konnte sich plötzlich nicht mehr von ihren dunklen Augen lösen. »Finden Sie heraus, wer es getan hat«, flüsterte sie eindringlich. »Man hat mich dazu benutzt, meiner Patientin zu schaden. Cynthia ist in dem Glauben gestorben, ihren Verstand verloren zu haben. Und dass auch ich sie aufgegeben habe. Ich weiß, was Sie von mir halten, aber gestern Abend hatten Sie Mitgefühl für sie. Bitte sorgen Sie dafür, dass der, der das getan hat, bezahlen muss.«
Dann war ihre Hand wieder fort, und sie auch, und er stand da und starrte ihr hinterher.
Sonntag, 12. März, 15.30 Uhr
Nur noch eine Minute.
Der Aufzug machte
Pling,
und bevor die Türen noch ganz zur Seite geglitten waren, war Tess schon hindurch und betrat schweratmend die Eingangshalle der Polizeistation. Amy folgte ihr etwas entspannter. Die Fahrt in dem beengten Aufzug hatte dem bereits widerwärtigen Tag die Krone aufgesetzt. Tess warf einen Blick auf die Glastüren, die zur Straße hinausgingen.
Noch eine Minute.
In einer weiteren Minute war sie aus dem Revier heraus …
Und steckte noch immer in diesem gewaltigen Schlamassel. Tess schubste Amys helfende Hand beiseite und schob ihre Arme in die Mantelärmel, während sie sich in Bewegung setzte. »Du hast mich in diesem Verhörraum schmoren lassen, um nach Hause zu fahren und dein verdammtes Kostüm anzuziehen?«, fauchte sie.
Amy zog eine Braue hoch, wodurch es ihr gelang, gleichzeitig brüskiert und verschmitzt auszusehen. »Ich hielt es für besser, wie ein Profi statt wie eine Bordsteinschwalbe auszusehen.«
Tess knöpfte den Mantel mit wütenden Bewegungen zu. »Ich sehe nicht wie eine Bordsteinschwalbe aus«, spuckte sie aus und sah aus den Augenwinkeln, wie ihre Freundin zu grinsen begann. Endlich begriff sie, dass Amy sie nur hatte ablenken wollen. Wenigstens ein paar Sekunden lang hatte sie weder an den kargen Raum und Aidan Reagans anklagenden Blick gedacht noch an Cynthia Adams’ toten Körper auf der Straße. Oder an die Tatsache, dass sich ihre Fingerabdrücke auf Gegenständen befanden, die sie niemals angefasst hatte. Sie stieß geräuschvoll den Atem aus. »Du bist nur neidisch, weil ich die Jacke vor dir entdeckt habe.«
Amy kicherte. »Stimmt. Macy’s?«
»Marshall Fields, sechzig Prozent heruntergesetzt.«
Amys Grinsen wurde listig. »Ich darf sie mir bestimmt mal leihen, oder?«
»Klar, warum nicht? Aber nur, wenn ich deinen schwarzen Pulli kriege.« Tess ging am Empfang vorbei, ohne auf die neugierigen Blicke zu achten. Sie war in Begleitung von zwei grimmig blickenden Detectives gekommen und ging in Begleitung einer bekannten Verteidigerin. Himmel, man musste kein Genie sein, um zwei und zwei zusammenzuzählen. Beim Schichtwechsel würde es jeder im Bezirk wissen, und sie kannte keinen Cop, der deshalb eine Träne vergießen würde. Wahrscheinlich würden sie auf Murphy und Reagan trinken, weil sie es der Seelenklempnerin mal so richtig gezeigt hatten.
Amy griff leicht nach ihrem Ellenbogen und dirigierte sie zum Ausgang. »Meinen neuen Kaschmir-Pulli?«, fragte sie, aber die Fröhlichkeit in
Weitere Kostenlose Bücher