Nie Wirst Du Entkommen
Amy. Hast du schon den
Bulletin
gesehen?«
»Ja.«
Der Regen rauschte, während sich das Schweigen ausdehnte. »Tess, wo bist du?«
Irgendwie drang die Wirklichkeit wieder in ihr Bewusstsein und vertrieb die Taubheit mit einer weiteren Woge weißglühender Wut. Tess schüttelte sich und stopfte die Zeitung in einen Mülleimer.
Sie hatte Patienten, um die sie sich kümmern musste, und konnte nicht ihre Zeit mit Zeitunglesen im strömenden Regen vertrödeln. »Im Krankenhaus.« Sie wandte sich ab und ging über die Straße – diesmal bei Grün –, ohne sich um den Regen zu kümmern. Sie war ohnehin schon bis auf die Haut durchnässt.
»Ich mache jetzt meine Runde, Amy, aber danach werde ich wohl mit dem Lizenzamt sprechen müssen. Und ich glaube, dazu brauche ich meine Anwältin.«
»Sag mir, wann, und ich komme.«
Tess’ Kehle verengte sich, aber sie räusperte sich resolut. »Danke.«
Montag, 13. März, 8.30 Uhr
»Ich bin da.«
Joanna Carmichael sah von der Sportseite auf und hätte sich beinahe an ihren Cornflakes verschluckt. Ihr Freund stand pitschnass im Zimmer und hielt in der einen Hand einen Stapel Zeitungen, in der anderen einen fetten Blumenstrauß. Er grinste das breite, anzügliche Grinsen, das er gewöhnlich nur nach dem Sex zur Schau trug.
»Was hast du denn da?«
»Souvenirs.« Keith warf den Stapel Zeitungen auf den Tisch, was die Milch aus ihrer Schüssel überschwappen ließ.
Er musste mindestens zwanzig Exemplare des
Bulletin
gekauft haben. Jedes ein Beweis für den miesen Verrat des Redakteurs. Jedes mit Cyrus Bremin als Autor
ihrer
Geschichte.
Meiner Geschichte.
Schmidt hatte ihr eine Geschichte versprochen.
Aber nicht, dass mein Name als Autor darunter erscheint.
Keith schüttelte sich wie ein nasser Hund, dann hielt er ihr die Blumen mit großer Geste hin. »Ich dachte, du wolltest vielleicht ein paar Ausschnitte nach Hause schicken.«
Von wegen. Sie biss die Zähne zusammen. »Keith, das ist nicht meine Story.«
Sein Lächeln verblasste. Noch immer hielt er ihr die Blumen entgegen, die sie nicht annahm. »Natürlich ist sie das. Und auch noch auf der Titelseite.«
»Es ist Bremins Story«, fauchte sie. »Er steht als Autor in der Verfasserzeile, weil er der Chefreporter ist. Das Arschloch von Schmidt hat ihm meine Geschichte gegeben.«
»Aber dein Name steht bei den Bildern«, sagte er ruhig und legte den Blumenstrauß weg. Seine Fröhlichkeit war vollkommen verschwunden.
»Ein Fotonachweis.« Sie lachte höhnisch. »Ich bin keine Fotografin. Ich bin Journalistin, und wenn du auch nur ein bisschen Verstand im Kopf hast, dann siehst du den Unterschied.«
Er fuhr sich mit den Händen durchs nasse Haar. »Ich denke, ich habe mehr als nur ein bisschen Verstand, Jo, und ich kenne den Unterschied. Ich sehe aber auch deinen Namen in einer großen Zeitung, auf der Titelseite sogar. Das war es, was du wolltest. Was du deinem Vater beweisen wolltest. Und jetzt können wir nach Hause gehen.«
Sie fegte die Zeitungen zu Boden. Die Erinnerung an ihren Vater und seine unerträgliche Herablassung brachte ihr Blut zum Kochen. »Ich denke überhaupt nicht daran, nach Hause zu fahren, Keith. Nicht, bevor mein Name nicht über einem Artikel auf der Titelseite oberhalb der Falzkante steht! Nicht vorher.«
Er stand einen Moment lang da und sah sie mit dem Blick an, der in ihr stets den Wunsch weckte, den Kopf einzuziehen. »Du hast etwas verdammt Gutes getan, Jo. Du hast eine Ärztin bloßgestellt, die ihren eigenen Patienten schadet. Wenn du in der Lage bist, einmal dein Ego zu vergessen, siehst du vielleicht, wie recht ich habe. Ich habe wirklich viel Geduld gehabt. Du hast gesagt, dass wir nach Atlanta zurückgehen, wenn dein Name auf der Titelseite erscheint. Das ist jetzt der Fall. Und ich will nach Hause.«
»Dann hau ab.« Mit verächtlicher Miene stand sie auf und stellte ihre Schüssel in die Spüle. »Aber du kannst allein gehen. Ich verlasse die Stadt erst, wenn ich da bin, wo ich hinwill.« Sie starrte auf Bremins Namen, der sie vom Fußboden aus zu verspotten schien. »Ich muss Schmidt irgendwie beeindrucken.« Ein Gedanke tauchte aus der kochenden Wut auf. »Ein Exklusivinterview mit Ciccotelli müsste es eigentlich bringen. Sie hat gesagt, ich soll sie anrufen.« Sie schaute auf und sah, wie Keith sich ins Schlafzimmer zurückzog. Plötzlich hatte sie ein schlechtes Gewissen. »Keith, tut mir leid, dass ich dich so angefaucht habe. Ich war bloß so enttäuscht.«
Er
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