Niedersachsen Mafia
aber nicht alles«, erwiderte er.
Dann verabschiedete er sich mit einem angenehmen Händedruck, ohne
auch nur andeutungsweise den Versuch zu unternehmen, mit ihr in die Wohnung zu
gelangen. Nachdenklich kehrte Frauke in ihre vier Wände zurück. Der Mann war
ihr ein Rätsel.
ACHT
Frauke hatte ihre Wohnung abgesichert und wieder das Glas auf dem
Türgriff ausbalanciert. Sie hatte befürchtet, nicht schlafen zu können, und
zunächst auch mit Problemen beim Einschlafen zu kämpfen gehabt. Dann musste sie
aber doch in einen tiefen Schlaf gefallen sein.
Sie schreckte hoch, als ihr Handy sich meldete. Sie hatte Probleme,
sich zu orientieren, suchte das Gerät, bis sie es auf dem Nachttisch neben dem
Kopfende fand. Träge meldete sie sich mit »Hallo«.
»Frau Dobermann?«, fragte eine resolut klingende Stimme. Als sie es
bestätigte, fuhr der Mann fort. »Kriminaldauerdienst. Wir haben eine Nachricht
von der Justizvollzugsanstalt erhalten. Dort sitzt Bernd Richter ein. Man hat
uns informiert, dass Sie den Fall bearbeiten.«
»Das ist zutreffend.«
»Richter hat gestern Abend einen Selbstmordversuch unternommen.«
»Verdammt«, fluchte Frauke unweiblich. »Wissen Sie Einzelheiten?«
»Nein«, musste der Beamte eingestehen.
»Ist er tot?«
»Ich bin nur unzureichend informiert. Nach meinen Informationen
liegt er auf der Krankenstation der JVA .«
Frauke stieg aus dem Bett, durchlief im Eiltempo das Badezimmer und
verzichtete auf das Frühstück. Wenig später erreichte sie das Gefängnis an der
Schulenburger Landstraße unweit der Straßenbahnstation Beneckeallee. Gegenüber
stand die schmucklose St.-Andreas-Kirche.
Die Justizvollzugsanstalt lag hinter einem lebhaften Gewerbegebiet
und war nicht zuletzt dank des Zauns unübersehbar. Der hohe Drahtzaun wirkte
fast filigran, wenn auch die monströse Stacheldrahtrolle auf der Spitze jedem
potenziellen Flüchtling Einhalt gebot. Die freie Fläche hinterm Zaun, die hohen
Lichtmasten und die Kameras schienen unüberwindbar. Die Zufahrt führte ein
kurzes Stück am Zaun entlang, durch den man Baracken erkennen konnte, die
Frauke für Werkstätten hielt. Hinter einer Kurve fanden sich Parkplätze und ein
großes Hinweisschild, das Besucher darauf aufmerksam machte, dass sie von
dieser Stelle an der Kameraüberwachung unterlagen. An zwei Fahnenmasten wehten
die Deutschlandflagge und die Landesflagge mit dem aufsteigenden
Niedersachsenross.
Frauke stellte ihr Fahrzeug ab und ging auf den Drahtkäfig zu, der
als Schleuse den Zu-, noch wichtiger aber den Ausgang bildete. Für Fußgänger
gab es eine eigene Schleuse, die sie umständlich passieren musste, bevor sie
nach dem Verlassen des Käfigs vor der Pförtnerloge mit dem schusssicheren
Panzerglas wartete.
Sie musste sich ausweisen, und es dauerte eine Ewigkeit, bis sie in
der Krankenstation einem Pfleger gegenüberstand. Der Mann weigerte sich, ihr
Auskünfte zu erteilen, und wollte sie an den Arzt verweisen, der aber nicht
anwesend war.
»Dann holen Sie den Doktor«, herrschte Frauke den Pfleger an.
»Doch nicht am Sonntag«, entsetzte sich der Mann.
»Wenn Sie nicht augenblicklich spuren, fahre ich das große Geschütz
auf«, drohte Frauke.
Das schien Eindruck zu machen. Der Pfleger zog sich in sein
Dienstzimmer zurück, telefonierte und tauchte kurz darauf wieder auf.
»Was wollen Sie wissen?«
»Ich möchte Einzelheiten zum Suizidversuch wissen.«
»Gestern Abend hat der Kollege von der zuständigen Abteilung Richter
entdeckt. Der hatte sich die Pulsadern aufgeschnitten.«
»Wie kommt der Untersuchungsgefangene an Werkzeug, das so etwas
ermöglicht?«
»Da dürfen Sie mich nicht fragen. Jedenfalls hat die Aufsicht sofort
Alarm ausgelöst, und Richter wurde umgehend medizinisch versorgt und hierher
verlegt.«
»Bestand Lebensgefahr?«
Der Pfleger wurde etwas zugänglicher. »Ich glaube nicht. Richter hat
sich die Pulsadern quer aufgeschnitten. Das ist ein häufiger Fehler von
Selbstmordkandidaten.«
»Wie geht es ihm?«
»Den Umständen entsprechend – gut. Die Wunden wurden versorgt. Mehr
haben wir nicht getan. Deshalb wurde Richter auch nicht ins Krankenhaus
verlegt. Wir halten ihn nur unter Beobachtung, falls er es erneut versucht.«
»Das steht kaum zu befürchten«, sagte Frauke. »Der Mann war
Kriminalhauptkommissar und weiß, wie man sich die Pulsadern effizient und
erfolgreich aufschneidet. Er ist kein Amateur. Wenn man ihn nicht entdeckt
hätte, hätte er sicher rechtzeitig Alarm geschlagen.
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