Niederschlag - ein Wyatt-Roman
diesem Falle würde sie ihre Scheinwerfer ausstellen, ebenfalls wenden und ihm eine Weile folgen, bevor sie das Licht wieder anschaltete. Doch Liz glaubte nicht an ein solches Links-Manöver seinerseits. Bis jetzt war sie ihm zweimal zur Gatehouse Street gefolgt, dann um den Friedhof herum nach North Carlton, bevor sie ihn verloren hatte.
Sie fuhr im Schritt-Tempo und pfiff ungeduldig vor sich hin. Einen Moment später blendeten die Scheinwerfer auf, als der Jaguar auf die StraÃe fuhr. Der Wagen beschleunigte, tauchte direkt hinter ihr auf und Liz betätigte den Blinker, fuhr an den StraÃenrand, um den Weg frei zu machen. Sie sah die Bremslichter an der Ecke aufleuchten. Er bog rechts ab und verschwand. Liz fuhr los und gab Gas.
Als sie auf der Parade war, drei Wagenlängen vom Jaguar entfernt, entspannte sie sich. Selbst wenn er eine ungewohnte Route einschlagen oder Ausweichmanöver versuchen sollte, sie war zuversichtlich, an ihm dran bleiben zu können. Der XJ6 war ein auffälliger Wagen, dennoch hatte sie vorhin das Heck mit schmalen Streifen reflektierenden Klebebands markiert. Sie klebten unterhalb der StoÃstange und waren nicht augenfällig, wenn man direkt vor dem Wagen stand, aber folgte man ihm in der Dunkelheit und in angemessener Entfernung, wurden sie sichtbar: kleine, unregelmäÃige rote Muster im Licht der Scheinwerfer. Raymonds Wagen war somit unverwechselbar. Selbst auf einem Freeway voller ähnlicher Wagen würde Liz ihn ausmachen können.
Die Minuten verstrichen. Raymond fuhr um den Friedhof herum und Richtung Princes Street. Hin und wieder änderte er die Geschwindigkeit, wechselte die Fahrbahn, als gälte es, einen Beschatter abzuschütteln, aber Liz lieà sich nicht abschütteln. Er tat es völlig automatisch. Vermutlich wähnte er einen Verfolger hinter sich, selbst wenn er nur Brötchen und Milch besorgen wollte. Sie blieb, wo sie war, auf der linken Spur, und hielt sich mehr oder weniger an die Geschwindigkeitsbegrenzung.
Liz folgte dem XJ6 zur Alexander Parade und auf den Doncaster Freeway. Raymond fuhr jetzt konstanter. Er blieb auf einer Spur und hielt sich an die vorgegebene Geschwindigkeit, ein junger Typ, der in seiner Luxuskarosse dahinfuhr. Ab und an schloss Liz zu ihm auf und konnte durch das Heckfenster deutlich erkennen, mit welcher Lässigkeit er im Wagen saÃ: eine Schulter gegen die Tür gelehnt, eine Hand am Steuer, die andere locker auf der Lehne des Beifahrersitzes.
Raymond nahm die Ausfahrt an der Bourke Road, schlängelte sich durch die kleinen Hügeln von Ivanhoe hinunter nach West Heidelberg. Es überraschte sie, dass er in einer SeitenstraÃe parkte und hinüber zum Campus der University of Technology schlenderte. Liz parkte, stieg aus, entfernte das Klebeband vom Heck des Jaguars und folgte Raymond eilig in eine Gegend beleuchteter FuÃwege zwischen jeder Menge Buschwerk und einem Mischmasch aus kastenförmigen Gebäuden, viele von ihnen hell erleuchtet. Dennoch haftete der Umgebung etwas Dunkles, Unheimliches an und Liz musste an die Studentinnen denken, die am Abend beherzt zu ihren Seminaren stiefelten oder zurück zu ihren Wagen, die auf den ausgedehnten Parkplätzen standen.
Raymonds Ziel war eine Bank in der Nähe eines Teiches. Hier war viel Licht, hier lag sogar ein schmusendes Studentenpaar im Gras und dann sah sie Wyatt, zum ersten Mal seit zwei Wochen. Er trug eine dunkle Mütze, eine dunkle ReiÃverschlussjacke und stand wie festgewachsen an der Ecke eines nahen Gebäudes. Sie kannte diesen Blick: düster, skeptisch und wachsam wie eine Katze. Er entdeckte sie nicht. Er näherte sich seinem Neffen mit groÃen, federnden Schritten, die von einer Sekunde zur anderen in einen Angriff oder eine Flucht übergehen konnten. Ein Teil von Liz spürte die Erregung und fühlte sich beim Anblick seiner gewandten Bewegungen an die mehr konzentrierte Gewandtheit seiner Hände und seines Körpers erinnert, als er sie in der schmalen Koje auf der Yacht berührt hatte und mit ihr dahingetrieben war. Trotz der Entfernung bemerkte sie auf Wyatts schmalem Gesicht merkliche Spuren von Erschöpfung, wenn nicht sogar von Traurigkeit. Er erinnerte sie an ein umherstreifendes Tier, das sich der eigenen Bedürfnisse ebenso bewusst war wie der Schwäche des Jägers.
Aber der Zauber verflüchtigte sich, als Wyatt die Mütze abnahm, um sich am Kopf zu kratzen. Er
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