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Niemand, Den Du Kennst

Titel: Niemand, Den Du Kennst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Richmond
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korrigieren, die ich noch nie leiden konnte.«
    »Würdest du es wieder tun?«
    Er sagte nichts. Das Schweigen war Antwort genug. Er trank seinen Tee aus und stellte den Becher auf dem Tisch ab. »Ich habe in all den Jahren an dich gedacht, Ellie.«
    »So schwer bin ich nicht zu finden.«
    »Doch, das bist du.«
    »Du hast doch sicher deine Quellen. Ganz abgesehen davon, dass meine Mutter bis vor einem Jahr einen halben Kilometer von hier entfernt wohnte.«
    »Wie bitte? Ich soll mich bei deiner Mutter blicken lassen?
Ich hatte gehofft, du kämst zu mir. Ich wusste, wenn ich auf dich zuginge, würdest du mich in der Luft zerreißen. Du hast mehr als deutlich gemacht, dass du nichts mehr mit mir zu tun haben wolltest.«
    Dagegen konnte ich nichts einwenden.
    »Hör mal«, sagte er. »Hättest du etwas dagegen, wenn ich mich umziehen gehe?«
    »Was?«
    »Ich komme mir einfach seltsam vor, in meinem Bademantel hier zu sitzen und mich mit dir zu unterhalten. Offen gestanden waren die letzten Tage ein bisschen hart. Ich arbeite an einem neuen Buch und bin kaum von meinem Schreibtisch weggekommen. Ich saß sogar in meinem Arbeitszimmer und habe geschrieben - beziehungsweise zu schreiben versucht -, als du geklingelt hast.«
    Er stand auf. »Fühl dich wie zu Hause«, sagte er. »Sieh dich um. Wer weiß, vielleicht findest du etwas Interessantes.«
    »Im Ernst?«
    Er lächelte. »Iss mein Essen, trink meinen Alkohol, lies meine Post, wühl durch meine Schubladen. Nur geh nicht weg.«
    Ich wusste, dass er das ernst meinte. Es hatte immerhin einen Grund dafür gegeben, dass wir uns vor all den Jahren so gut verstanden. Man konnte sich angeregt mit ihm unterhalten. Er war großzügig mit seiner Zeit. Er mochte mich. Ich machte mir nie Gedanken darüber, wie ich aussah, wenn ich mich mit ihm traf, machte mir nie Sorgen, vielleicht das Falsche zu sagen. Wenn wir miteinander sprachen, merkte ich immer, dass er wirklich zuhörte. Die Kameradschaft zwischen uns, die ehrliche Ungezwungenheit, die ich in seiner Anwesenheit empfand, hatten seinen Verrat nur umso niederschmetternder gemacht.

    Als ich im oberen Stockwerk eine Tür zufallen hörte, ging ich in die Küche, um die Fotokollektion an Thorpes Kühlschrank in Augenschein zu nehmen. Da waren Schnappschüsse von ihm mit diversen ortsansässigen Persönlichkeiten - Bill Gates, Barry Bonds, Jim Mitchell, Armistead Maupin - sowie Mediengrößen wie Barbara Walters, Ted Turner und diesem dünnen weißhaarigen Typen aus dem Nachrichtenmagazin 60 Minutes . Daneben hing ein Simpsons-Kalender, aufgeschlagen im Monat Juni, der bereits vorbei war. Ich blätterte zum Juli - beinahe jedes Kästchen war vollgeschrieben. Da standen Termine für Radiosendungen, Lesungen, Buchclubs, ein Spendenmittagessen für eine Grundschule. Ich fragte mich, was für eine Grundschule wohl die Dienste eines Autors von Büchern über Gewaltverbrechen in Anspruch nahm, um Geld für Kreide und Klettergerüste aufzutreiben.
    An der Wand über der Arbeitsfläche hing eine Korktafel, auf die ein geradezu schizophrener Mischmasch von Eintrittskarten zu diversen Kinofilmen - Das Leben der Anderen , Ocean’s Thirteen , Der Tintenfisch und der Wal , Shrek - und Konzerten - Sugar dePalma im Rockit Room, Walty im Hotel Utah, Steve Forbert in der Great American Music Hall, The Polyphonic Spree und Pilar Dana im Slims - gepinnt war. Außerdem steckte dort ein Zweitagespass für das New Orleans Jazz Festival von 2003. Ich war wirklich beeindruckt von seinem Musikgeschmack, überrascht zu sehen, dass wir in dieser Hinsicht immer noch so viele Gemeinsamkeiten hatten, bis ich das Ticket zum Preis von hundertfünfzehn Dollar für eine Revival Tour von Journey entdeckte.
    Da war noch mehr: eine ein Jahr alte Quittung für einen Achthundert-Dollar-Mantel, erworben bei Neiman Marcus -
vielleicht hatte er vorgehabt, ihn zurückzugeben, es aber nie geschafft - und eine Postkarte aus Hawaii, abgestempelt im November vor fünf Jahren, adressiert an »Mr. & Mrs. Thorpe« und mit der umseitigen handgeschriebenen Botschaft: Memo an uns selbst: Denk an die Flitterwochen und darunter die Unterschriften Jane & Andy . Offenbar hatten sie ihren eigenen Ratschlag nicht befolgt.
    Ich ging die Stufen zum ersten Stock hoch. Oben kam ich an einer geschlossenen Tür vorbei, hinter der ich ihn herumlaufen hören konnte. Mir gefiel die Freiheit, ungehindert in seinem Haus herumspazieren zu können. Ich war mit dem Vorsatz hergekommen, Antworten von

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