Niemand, Den Du Kennst
Fuß in sein Büro ein paar Straßen weiter. Ich war mir sicher, dass ich ihn nach dem Foto in der Marin erkennen würde.
Um Viertel vor acht war Strachman noch immer nicht aufgetaucht. Ich hatte meine zweite Tasse Kaffee ausgetrunken, alle Bücher in den Regalen in der Hand gehabt und die New York Times durchgeblättert. Allmählich wurde ich unruhig.
Acht Uhr. Immer noch kein Strachman. Ich zog in Erwägung, einfach zu seinem Büro zu gehen, aber ich befürchtete,
das könnte ihn eher abschrecken, als wenn ich ihm zufällig im Café über den Weg liefe. Was ein Privatdetektiv wohl täte, überlegte ich. Oder Thorpe. Wie hatte Thorpe all diese Leute dazu gebracht, mit ihm zu reden?
Um zehn nach acht kam er. Zuerst erkannte ich ihn nicht, weil er stark abgenommen hatte und sein Gesicht viel schmaler war als auf dem Foto. Er trug eine Khakihose, Stiefel mit Stahlkappen und ein Jeanshemd. Trotz seines legeren Aufzugs strahlte er Geld aus. Man sah, dass seine Kleider aus einem unverschämt teuren Laden kamen, der Art von Geschäft, wo man als Kunde Hunderte von Dollar für ein T-Shirt loswurde, das absichtlich auf rustikal designt worden war. Seine modisch längeren Haare zeigten Ansätze von Grau, und seine Grübchen waren zu bleibenden Falten geworden. Er war auf nordkalifornische Art attraktiv, was bedeutet, dass sein gutes Aussehen mehr mit teurem Bioessen und Wochenenden in Tahoe zu tun hatte als mit genetischen Anlagen.
Er nahm sich eine Zeitung. Über das Getöse der Espressomaschine hinweg hörte ich ihn mit der jungen Frau hinter der Theke reden.
»Guten Morgen, Isabelle. Ich nehme einen ganz normalen Bagel, bitte, ohne alles. Doppelter Latte.«
Dann wandte er sich von der Theke ab und sah sich nach einem freien Platz um, Bagel, Zeitung und Kaffee jonglierend. Als er in meine Richtung blickte, lächelte ich und sagte: »Hier ist noch was frei.«
»Ich Glückspilz. Es muss ein guter Tag werden, wenn eine nette junge Frau mich bittet, sich zu ihr zu setzen.« Er schlug die Zeitung auf und sagte: »Habe ich das gerade wirklich gesagt? Entschuldigen Sie bitte, ich habe laut gedacht.«
Das Komische daran war, er schien es wirklich ehrlich zu
meinen. Als wären ihm die Worte nur so herausgerutscht. Ich wartete auf den Moment, in dem er mir ins Gesicht sähe und Lilas Züge auf sich gerichtet fühlte.
»Sie sind Steve Strachman«, sagte ich.
Er zog eine Augenbraue hoch. »Woher wissen Sie das?«
»Ich bin auch schon über die Treasure-Island-Auffahrt gefahren. Ziemlich beeindruckend, was Sie da geschafft haben.«
Er zuckte mit den Schultern. »Das ist mein Job. Der einzige Grund, warum die Leute so begeistert davon sind, ist, dass hier normalerweise alles so verdammt langsam vorangeht.« Er fegte Bagelkrümel von seiner Zeitung. Offenbar erkannte er mich überhaupt nicht. »Wie heißen Sie?«, fragte er.
»Ellie«, sagte ich. »Ellie Enderlin.«
Er reichte mir die Hand über den Tisch. Als unsere Haut in Berührung kam, sah ich etwas über seine Miene flackern. Rasch zog er die Hand weg und nahm einen Schluck Kaffee.
»Stimmt etwas nicht?«
»Ich kannte mal jemanden namens Enderlin. Das war vor langer Zeit.« Er hielt inne und sah wieder in seine Zeitung, doch er las nicht. Einige Sekunden später blickte er erneut auf. Er musterte mein Gesicht. »Sie hieß Lila«, sagte er. »Sie hatte eine Schwester.« Er starrte mich weiter an. Ich sah ihm an, dass er versuchte, die Puzzleteile zusammenzufügen.
»Ich weiß«, sagte ich endlich.
»Was für ein Zufall«, sagte er. »Es ist doch ein Zufall, oder?«
Auf der einen Seite war seine angenehme Kleidung, sein Grübchenlächeln, seine freundlichen Augen. Er war eindeutig der Typ Mann, der Fotos von seinen Kindern in der Brieftasche hatte, der Typ Mann, der seine Frau ohne besonderen Grund mit Blumen überraschte und den Namen der Bedienung im Café kannte. Er hatte keine Ähnlichkeit mit dem
Bild, das Thorpe von einem arroganten, geheimnistuerischen Menschen gezeichnet hatte. Andererseits war er eindeutig befremdet. Meine Anwesenheit war ihm sehr unangenehm.
»Arbeiten Sie immer noch an dem berühmten Problem?«, fragte ich.
»Wie bitte?«
»Die Hodge-Vermutung.«
Er wedelte mit der Hand, als verscheuchte er eine Fliege. »Das war ein anderes Leben. Die Mathematik habe ich vor langer Zeit aufgegeben.«
»Warum?«
Er machte Anstalten, aufzustehen, doch dann blieb er. Ich hoffte sehr, er ginge nicht, denn ich hatte keinen Plan B.
»Ich war einfach
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