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Niemand, Den Du Kennst

Titel: Niemand, Den Du Kennst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Richmond
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nicht so gut.«
    »Aber das müssen Sie gewesen sein. Sie haben den Hilbert-Preis gewonnen.«
    Er runzelte die Stirn. »In Ermangelung von Konkurrenz. Der Preis stand Lila zu. Und jeder wusste das.«
    »Trotzdem.« Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich wollte nur Zeit gewinnen. Das hier war etwas völlig anderes, als mit Delia Wheeler zu sprechen. Da hatte es eine Art Logik gegeben, einen Weg, sich dem Thema zu nähern. Aber bei Strachman hatte ich rein gar nichts.
    »Ehrlich gesagt habe ich wahrscheinlich ihretwegen aufgehört«, sagte Strachman. »Ich wusste, ich würde nie so gut wie Ihre Schwester sein. Und nicht nur sie. Es gab noch andere, in deren bloßer Anwesenheit ich mir wie ein Hochstapler vorkam. Lilas Freund McConnell war so jemand. Es reichte nicht, dass diese wunderschöne, unglaublich kluge Frau in ihn verliebt war - er musste auch noch selbst brillant sein.«

    Meine Kehle fühlte sich trocken an. »Wussten Sie Bescheid über die beiden? Damals schon, bevor das alles passierte?«
    »Ja.«
    »Aber woher? Ich dachte, sie hätten es vor allen geheim gehalten?«
    »Vor fast allen. Ich habe sie einmal zusammen gesehen, im Büro des Stanford Journal of Mathematics . Ich kam durch die Tür, und sie waren …« Er kratzte sich im Nacken und blickte zur Seite.
    »Sie waren was?«
    »Beschäftigt.« Er nahm einen Schluck Kaffee.
    »Wie beschäftigt?«
    »Sehr.«
    »Das ist ganz ausgeschlossen«, sagte ich. »Nicht dort.«
    »Für mich war das auch ein Schock. Sie war immer so schüchtern gewesen. Ich kam zu dem Schluss, dass es etwas mit McConnells Charisma zu tun haben musste. Davon hatte er eine Menge. Gut aussehend, charmant. Auf so was stehen die Mädels nun mal.«
    Bildete ich mir das nur ein, oder hörte man da einen Hauch von Eifersucht in Strachmans Stimme?
    »Ich bin einfach weggegangen. Habe es niemals jemandem gegenüber erwähnt.« Er stockte, sah mich an, als dämmerte ihm gerade etwas. »Sie versuchen immer noch, dahinterzukommen, oder? Nach all den Jahren.« Wieder zögerte er, als stellte er eine schnelle Kalkulation, Extrapolation an, um herauszufinden, ob er selbst dasselbe täte, wenn die Rollen vertauscht wären. »In Ordnung«, sagte er dann, »das kann ich respektieren.«
    Jedenfalls, was ich eigentlich erzählen wollte, es gab eine Menge Talente im Mathe-Institut. Ihre Schwester war das auffallendste, aber es gab noch andere. Mit meinen sechsundzwanzig
Jahren hatte ich meinen Zenit schon überschritten. Ich nahm an, dass ich über den Hilbert-Preis nicht hinauskäme, und auch dorthin schaffte ich es nur wegen Lilas …« Er wandte den Kopf ab. »Wegen ihres Unglücks«, beendete er den Satz schließlich. »Es war auch nicht gerade hilfreich, dass ich im Institut nicht sonderlich gemocht wurde. Damals hatte ich ein ziemlich anmaßendes Wesen. Der Preis bereitete mir keine Freude. Ich schämte mich. Ich war mir sicher, dass alle mich hassten, weil ich nahm, was rechtmäßig ihr gehörte. Wenn ich weitergemacht hätte, wäre ich vielleicht gut gewesen, aber ich wusste, ich wäre nie sehr gut.« Er zuckte die Achseln. »Also habe ich aufgehört. Ich habe es nie bereut.«
    »Haben Sie Andrew Thorpes Buch gelesen?«, wollte ich wissen.
    »Nur überflogen.« Er machte eine Pause. »Es ist mir peinlich, aber ich muss gestehen, dass ich nur daran interessiert war, ob ich auch darin vorkomme. Wie gesagt, ich war damals ziemlich unerträglich.«
    »Warum sollten Sie?«
    »Was?«
    »Darin vorkommen. Nehmen wir an, Sie wären in dem Buch erwähnt …«
    »Was ich nicht bin.«
    »Nein, aber wenn Sie es wären …«
    »Kein spezieller Grund«, sagte Strachman. »Außer, dass ich einfach da war. Ein paar Wochen lang hing über mehr oder weniger jedem im Institut der Schatten des Verdachts. Die Polizei befragte uns alle. Nicht besonders geschickt, in meinen Augen, aber sie befragten uns. Es war das Hauptthema auf den Fluren, in der Cafeteria, selbst in den Lerngruppen. Ich weiß noch, dass ich damals dachte, ich wäre in einem Cluedo-Spiel im realen Leben gelandet. War es Oberst von
Gatow im Musikzimmer mit dem Seil? Professor Bloom im Wintergarten mit dem Leuchter?«
    Ich zog eine Grimasse.
    »Tut mir leid«, sagte er. »Ich möchte das nicht ins Lächerliche ziehen. Aber Sie müssen verstehen, wir alle lebten Tag und Nacht in der Mathematik. Es war sehr aufreibend, in höchstem Maße konkurrenzgeprägt, eine Petrischale zwanghafter Persönlichkeiten. Und dann geschah diese furchtbare und, wie

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