Niemand ist eine Insel (German Edition)
war zu beantworten!
Schließlich war ich hier fest angestellt und bezog mein Gehalt. (Nach allen Abzügen DM 824,50 auf die Hand bei freiem Quartier und freier Verpflegung.)
Also los, weiter! Gleich kam das Mittagessen, da mußte ich unten im Speisesaal helfen.
Herr Walter Kleinheit (Großgärtnerei) brauchte die Bestätigung, denn er wollte ja den für das Patenkind Heidi (das er nie gesehen hatte und wahrscheinlich auch nie sehen würde) gespendeten Betrag wenigstens von der Steuer voll absetzen können, und das konnte er, denn da hatten wir es stehen, vorgedruckt:
2. Wir sind durch die Bescheinigung des Finanzamts Nürnberg für Körperschaften vom 5. April 1971 St. Nr. 53/5320 wegen Förderung geistig und körperlich Behinderter vorläufig ( Vorläufig wenigstens! Vor dem 5. April 1971 waren wir das noch nicht, und wenn ich ›wir‹ sage, meine ich die ›Sonderschule Heroldsheid‹, in der ich nun arbeite, und da war es mit den freiwilligen Patenschaften, von denen wir so sehr abhängig sind, ein rechtes Elend!) als gemeinnützigen und mildtätigen Zwecken dienend und zu den in § 4 Abs. 1 Ziffer 6 KStG bezeichneten Körperschaften, Personenvereinigungen oder Vermögensmassen gehörig anerkannt worden.
›Gemeinnützigen‹ …
Ich starrte das Wort an, das ich eben gelesen hatte, und erinnerte mich an etwas. Seit ich wieder in Deutschland war, interessierte ich mich auch für dieses Land. Ich las abends und nachts eine Menge.
Es gab noch andere derart eingestufte Institutionen. Zum Beispiel das nationalistische ›Kulturwerk Europäischen Geistes e.V.‹ in Lochham, Oberbayern, oder die ›Staats- und Wirtschaftspolitische Gesellschaft e.V.‹ des Herrn Hugo Wellems, ehedem Reichspropagandastellenleiter in Kowno (Litauen).
Auch solche Vereinigungen waren ebenso ›anerkannt gemeinnützig‹ – wie nach langem Tauziehen und ›vorläufig‹ die ›Sonderschule Heroldsheid!‹ Ich hoffe, mein Herr Richter, Sie verstehen, wie dieses Prädikat in der Bundesrepublik verteilt wird. Ich hoffe es wirklich. Denn ich verstehe es nicht.
3. Wir bestätigen,
a) daß wir den zugewendeten Betrag nur zum satzungsmäßigen Zweck der erzieherischen und berufsfördernden Maßnahmen für geistig und körperlich Behinderte verwenden werden;
b) daß der bezeichnete Zweck u.a. unter jene Zwecke (was für ein Deutsch, aber so stand es da, das verlangte das Finanzamt einfach, und zwar genau in dieser Formulierung) fällt, die nach Ziffer 5 der Liste in der Anlage 7 zu den Einkommensteuer-Richtlinien allgemeinhin als besonders förderungswürdig anerkannt werden …
Eine Glocke läutete. Das Mittagessen begann. Die erste Schicht, Babs darunter, war nun dran. In einer halben Stunde kam die zweite Schicht. 81 Kinder, mein Herr Richter! Kann man nicht alle auf einmal füttern. Die drei Kleinen da unten auf der Wiese stolperten, schwankten zum Haus. Das Rollwägelchen machte gefährliche Sprünge. Babs sah zu mir herauf, sie wußte, wo ich war, sie konnte mich erblicken. Sie winkte.
Ich winkte auch und lachte, als ich ihr verzogenes Gesicht mit der schrecklichen Brille sah, dieses ganze armselige Menschenbündel, einst THE WORLD’S GREATEST LITTLE SUNSHINE-GIRL, und ich rief: »Komme gleich runter, Babs!« Und tippte noch:
Für Ihr Verständnis und Ihre Unterstützung, sehr geehrter Herr Kleinheit, danken wir Ihnen herzlich, auch im Namen unserer Behinderten.
SONDERSCHULE HEROLDSHEID
Für den Vorstand
i.A.
– und dann drehte ich das Formular aus der Maschine und schrieb mit dem schweren goldenen Füllfederhalter, den mir Sylvia einmal geschenkt hatte, hinter dem i.A.: Philip Norton.
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E s gab Buchstabensuppe, Gemüse, Kartoffeln, Fleisch und frischen Salat, Nachspeise: Pudding verschiedener Art, die Kinder konnten es sich aussuchen. Die Erwachsenen auch. Die Erwachsenen aßen zuletzt, nach der zweiten Schicht, denn sehr viele Kinder waren nicht imstande, selbständig eine Mahlzeit einzunehmen, sie mußten gefüttert werden. Es gab nun für alle viel zu tun. Appetit hatten, von wenigen Ausnahmen abgesehen, sämtliche Kinder. Besonders Babs. Sie humpelte mir entgegen, als ich in den Speisesaal kam, lachte, und ihre Augen glänzten vor Freude. Das war nicht von Anfang an so gewesen – doch jetzt strahlte Babs, jetzt hatte sie ihre kleinen Freunde gefunden, jetzt hatte sie gerade eine ›gute Zeit‹. Sie hatte immer wieder auch ›schlechte Zeiten‹, es wechselte, und zu Beginn hatte ich gedacht, das nicht
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