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Niemand ist eine Insel (German Edition)

Niemand ist eine Insel (German Edition)

Titel: Niemand ist eine Insel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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›Boulevard-Café‹, ›Kinderrestaurant‹ wählten wir das sechste: die ›Landbeiz‹. Das ist Schwyzer-Dütsch und bedeutet so etwas wie ›kleiner Landgasthof‹, in dem man eigentlich mehr trinkt als ißt. Wir setzten uns, es war warm und gemütlich wie in einer Bauernstube, und ich bestellte eine Flasche ›Saint Saphorin‹, Jahrgang 69.
    Unter uns sausten die Lichtkegel der Autos auf vier Bahnen in beiden Richtungen vorbei. Das war ein Anblick, der mich immer wieder faszinierte, wir waren schon einige Male hierhergekommen, weil wir uns dann immer gleichermaßen voller Frieden fühlten. Sie rauchte. Nun mußten die Brüder ja bald auftauchen. Ein Kellner brachte den ›Saint Saphorin‹ in einem Silberkübel. Während er die Flasche öffnete, erschienen die ersten von Brackens Chums, Copains, Jungs, Buddies in der ›Beiz‹, Kameras schußbereit. Ich sah sie ausdruckslos an. Half Sylvias Zobel über ihre Schultern legen, half Sylvias Zobelhut abnehmen. Sie legte ihn auf einen freien Stuhl.
    »Merde, alors!« sagte einer der Reporter laut.
    Die anderen starrten uns bloß an.
    Die Frau an meiner Seite war nicht Sylvia Moran. Die Frau an meiner Seite hatte nur Sylvia Morans Zobel und Zobelhut getragen. (Das war diesmal meine Idee gewesen, einmal eine von mir – und nicht von diesem Scheiß-Bracken!) Die Frau an meiner Seite war Clarissa, das Kindermädchen von Babs.

14
    D er Kellner hatte etwas Wein in mein Glas gegossen. Ich kostete. Der ›Saint Saphorin‹ schmeckte herb und großartig. Ich nickte, und er füllte beide Gläser und murmelte etwas Kehliges, was wohl ein Trinkspruch war. Wir dankten ihm und tranken beide. Die Reporter beim Eingang standen unschlüssig. Sie redeten leise miteinander. Dann kam ein großer Blonder an den Tisch und sagte deutsch mit rheinischem Akzent zu mir: »Das war nicht fair, Herr Kaven.«
    »Fair!« sagte ich. »Hat Bracken euch nicht gebeten, Mrs. Moran in Frieden zu lassen? Ich habe nie geglaubt, daß ihr fair sein werdet! Darum sitze ich jetzt hier mit Miss Clarissa.«
    »Und wo ist Mrs. Moran?« fragte er wahrhaftig.
    Ich antwortete ihm überhaupt nicht. Er ging zurück zu den anderen, und sie redeten wieder, und dann gingen alle bis auf diesen großen blonden Deutschen mit dem rheinischen Akzent. Er bestellte Bier und bekam es. Er war also entschlossen, to sit it out. Ich sagte zu Clarissa: »Jetzt müssen wir warten, bis der Anruf kommt.«
    »Ja, Herr Kaven«, sagte Clarissa. Sie stammte aus Los Angeles, war aber deutscher Abstammung und hieß Clarissa Geiringer. Sie kannte Babs seit deren früher Babyzeit. Eine treue Seele war Clarissa – siebenundzwanzig Jahre alt damals, sehr hübsch, sehr blond, aber ich wußte nicht, ob sie eine echte Blondine war. Sehen Sie, mein Herr Richter, bei dieser jungen Dame wußte ich es nicht. Diese junge Dame hätte ich nicht mit der Feuerzange berührt, denn auf Clarissa traf keine der Voraussetzungen zu, die meine süßen Kleinen unbedingt erfüllen mußten. Wir waren gute Freunde geworden in all den Jahren. Im Gegensatz zu Rod Bracken achtete mich Clarissa wenigstens, und sie hatte eine Eigenschaft, die sich bald schon als unheilvoll erweisen sollte: Sie liebte Babs ehrlich und wirklich.
    Der große blonde Rheinländer saß da und sah uns böse an und trank Bier. Ich wußte, daß es mit dem Anruf noch eine Weile dauern würde. Und so saßen wir gemütlich da und warteten, während unter uns die Lichter vorbeihuschten, lebendige Lichter, denn hinter ihnen saßen lebendige Wesen.
    Ich erinnere mich, daß Clarissa mir da, in der ›Beiz‹, hoch über den vier Bahnen, nahe Zürich (aber in bezug worauf war Zürich nahe? Wo war der feste Ort, der Punkt, das Zimmer in der Welt, wo ich daheim war? Ach, das gab es nicht, mein Herr Richter, ich hatte kein Daheim in der Welt, nicht das kleinste), ich erinnere mich, daß Clarissa mir da, hoch über den einander jagenden Lichtern, erzählte, wie sehr Rod sich ihr gegenüber mit der Organisation dieser Pressekonferenz gebrüstet hatte, bei der durch sein Geschick ganz und gar untergegangen war, was wir unbedingt verheimlichen mußten: Sylvias Lifting. Rod hatte zu Clarissa gesagt: »Wenn die mich nicht hätten, wären sie schön aufgeschmissen. Immer, wenn es stinkt, kann ich für Intim-Spray sorgen.«
    »Er soll bloß den Mund halten«, sagte ich sofort erregt. Clarissa mochte Bracken auch nicht. Sie hielt zu mir. Ich konnte offen mit ihr reden, und das tat ich. »Wenn er sich so

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