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Niemand ist eine Insel (German Edition)

Niemand ist eine Insel (German Edition)

Titel: Niemand ist eine Insel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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lange kannten wir einander schon? Wie lange setzte er schon für mich auf Pferdchen, damit es unter uns blieb, ach! Jean Perrotin, der zweite Nachtportier, auch ihn kannte ich seit Jahren, verbeugte sich lächelnd hinter seinem Desk. Alle kannte ich hier seit Ewigkeiten, die ganze Tages-Equipe der Reception, die nun verlassen lag, alle Tagesportiers, ihren Chef, den ehrwürdigen Monsieur Charles Fabre, den Mann, von dem es hieß, daß es kein Ding zwischen Himmel und Erde gab, das er nicht möglich machen konnte, und das im Handumdrehen. Ich kannte den Chef der Reception, André Magnol, ich kannte alle Barkeeper, Kellner, Maîtres d’Hôtel, alle Etagenkellner, die Stubenmädchen, ja, und die Herren der Verwaltung, die Subdirektoren, den Monsieur le Président-Directeur Général des LE MONDE, den großen, schweren, freundlichen Pierre Maréchal.
    Zu dieser Stunde lag die Halle verlassen da. Lucien Bayard und ich standen einander gegenüber.
    »Monsieur Lucien, ich bin sehr froh, wieder einmal bei Ihnen zu sein.«
    »Und wir! Wir alle, Monsieur Kaven! So froh, wirklich … Die Herrschaften sind schon oben. Das Gepäck ist auch eingetroffen.« Wir bekamen hier seit Jahren die gleiche Flucht von Appartements – 419 für Sylvia und mich, 420 für Babs und Clarissa, 421 für Rod, 422 für Dr. Wolken. Den erwarteten wir erst morgen. »Ich bringe Sie natürlich …« Der Nachtportier ging an meiner Seite zu den Lifts. »Nächsten Sonntag läuft ›Une de Mai‹ in Longchamps, Monsieur.«
    ›Une de Mai‹ war ein Wunderpferd, so etwas wie ›Une de Mai‹ hatte es noch nie gegeben.
    »Jemand hat mir gesagt, ›Une de Mai‹ läuft nicht mehr«, sagte ich.
    »Nur noch wenige Male, Monsieur Kaven, nur noch wenige Male. Ich sagte es Ihnen auch nur so. Hat keinen Sinn, auf ›Une de Mai‹ zu setzen. Sie gewinnt immer. Alles setzt auf sie. Deshalb sind die Gewinne immer so gering. Aber in Auteuil ist es nächsten Sonntag interessant!« Er ließ mich in den Lift steigen, folgte. Wir fuhren in den vierten Stock. »Sie wissen, ich habe nie etwas auf die Voraussagen in den Zeitungen gegeben. Nun ja, aber da sind drei Pferdchen, die beobachte ich schon eine lange Weile – ›Poet’s Bay‹, ›La Gauloise‹ und ›Valdemosa‹. Hervorragend, Monsieur, ganz hervorragend!« Der Nachtportier küßte seine Fingerspitzen. »Und alle drei laufen nächsten Sonntag in Auteuil. Ich würde Monsieur empfehlen, ›Poet’s Bay‹, ›La Gauloise‹ und ›Valdemosa‹ vollzupflastern, in dieser Reihenfolge einer Dreier-Einlaufwette. Es hat sich noch nicht herumgesprochen …« Seine Stimme sank zu einem Flüstern. »… was das für Pferdchen sind! Nur unter Kennern. Ich selber setze auf sie.«
    Ich erzähle von dieser Konversation über Pferde nicht ohne Grund, mein Herr Richter. Diese Konversation da nachts mit dem Portier ist wichtig, wenn Sie verstehen wollen, was mich dazu brachte, so zu sein, wie ich bin. Der Lift hielt. Lucien trat vor.
    »Erlauben Sie …« Er ging den Gang vor mir hinab auf 419 zu.
    »Dann setzen Sie auch für mich, Monsieur Lucien, bitte.«
    »Mit Vergnügen … Wieviel darf ich … was wünschen Monsieur?«
    »Das überlasse ich Ihnen. Wie immer, Monsieur Lucien.«
    »Ich danke für Ihr Vertrauen.« Er verbeugte sich im Gehen. »Dann würde ich Monsieur aber unbedingt empfehlen, außer der Dreierwette auch noch die drei Pferde als ›Couplé‹-Wette zu kombinieren.«
    Das bedeutet, auch noch darauf zu wetten, daß von den drei Favoriten einer ausfällt. Auf jeweils zwei von den drei Pferden wettet man so alle Möglichkeiten durch: Es ist eine zusätzliche Sicherheit, nicht wahr. »Selbstverständlich auch die ›Couplés‹, Monsieur Lucien.«
    »Mit dem größten Vergnügen. Ich werde alles genau überdenken und entsprechend vorgehen, Monsieur Kaven.«
    »Gehen Sie entsprechend vor, Monsieur Lucien.«
    Da war 419.
    »Danke, Monsieur Lucien«, sagte ich und gab ihm die Hand.
    »Ich danke Ihnen, Monsieur Kaven«, sagte der alte Nachtportier und steckte den Schein ein. »Gute Nacht.«
    »Gute Nacht, Monsieur Lucien«, sagte ich, klopfte kurz und trat dann in das Appartement ein, das ich so gut kannte. Zu meiner Überraschung brannten alle Lichter, schon im Vorraum, und der Salon war strahlend erleuchtet. Drei Menschen sahen mir entgegen – Bracken, Clarissa und der kleine Dr. Lévy, unser ständiger Arzt in Paris.
    »Was ist hier los?« fragte ich. Da stand eine antike Uhr auf dem Kaminsims. 1 Uhr

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