Niemand ist eine Insel (German Edition)
keuchte, schrie, weinte.
Sigrand fragte: »Wollen Sie sich endlich entscheiden, oder wollen Sie warten, bis dem Kind etwas passiert?«
Ich sah, daß Rod Bracken in der Tür des Schlafzimmers stand und uns beobachtete. Sein Gesicht hatte eine grünliche Farbe angenommen.
»Wir müssen das Kind hier wegbringen. Schnellstens! Ich lehne sonst jede Verantwortung ab«, sagte Sigrand.
Ich sah, wie Rod mir ein Zeichen machte. Ich sagte: »Warten Sie fünf Minuten, ich muß den Abtransport besprechen – mit Monsieur Bracken.«
Babs stöhnte plötzlich so schrecklich, daß ich zusammenfuhr.
»Na!« sagte Sigrand. »Haben Sie endlich kapiert, wie schlimm es steht? Seit drei Stunden warten wir auf Sie! Sie wußten, das Kind ist krank. Warum sind Sie nicht früher gekommen?«
»Wissen Sie, Sie können …«, begann ich, aber der kleine Dr. Lévy unterbrach mich. Er sagte zu Sigrand: »Sie müssen damit aufhören, lieber Freund. In den ›Sprüchen der Väter‹ steht: ›Verurteile deinen Nächsten nicht. Du weißt nicht, was du an seiner Stelle getan hättest.‹«
»Verehrter Kollege, wollen Sie mir jetzt mit dem Talmud gute Laune machen?«
Ich ging schnell zu Rod, der mich in den Salon zog und die Tür schloß. Vor mir standen Clarissa und Dr. Wolken. Herr Dr. Alfons Wolken aus Winterthur. Babs’ Privatlehrer. Den hatte ich ganz vergessen. Da stand er, verlegen wie immer, willens, sogleich sein Gesicht zu verbergen wie immer, devot wie immer.
»Guten Abend, Herr Kaven. Ich bin vor drei Stunden angekommen. Ich war nur kurz in meinem Zimmer. Das alles ist schrecklich. Ganz schrecklich. Die arme Babs, mein Gott …«
»Schon gut«, schrie ich.
Er fuhr zusammen.
»Ich bitte um Verzeihung, Herr Kaven, ich bitte tausendmal um Verzeihung …«
»Nein, nein …« Ich griff mir an die Stirn. So ging das nicht. So konnte ich mich nicht benehmen. »Ich bitte Sie um Verzeihung, Herr Doktor Wolken!! … Ich muß jetzt … mit Mister Bracken muß ich jetzt reden … Wenn Sie vielleicht so lange mit Clarissa in Ihr Appartement gehen wollten?«
»Selbstverständlich, Herr Kaven.« Dr. Wolken dienerte dreimal. Dann verschwand er mit Clarissa, die immer noch weinte. Er öffnete ihr die Tür, ließ sie vorausgehen.
Die Tür fiel zu.
»Wo hast du herumgevögelt?« fragte Rod.
»Halt dein dreckiges Maul!«
Wir sprachen englisch.
»Ich krieg schon raus, wo du herumgevögelt hast«, sagte Rod. »Jetzt geht dir der Arsch auf Grundeis, was?«
Ich schwieg.
»Auf so was habe ich schon immer gewartet«, sagte Rod. »Du nicht. Weil du zu dämlich bist und keine Phantasie hast. Jetzt, ja, jetzt denkst du daran! Weil du weißt, wenn da ein Wort, ein einziges Wort rauskommt über das mit Babs, dann kann sich Sylvia begraben lassen. Und du darfst dann alte Weiber …« (Das kann ich nicht wiedergeben!) »Ich hab’s im Urin gehabt. Ich hab’s kommen sehen. Eines Tages. Nicht gewußt, wie, nur daß es kommen wird. Gottverflucht, wären wir doch damals bloß nicht nach Monte geflogen! Jetzt, wenn was rauskommt, verlangt der Schuft Hunderttausende, was weiß ich, und immer wieder, immer mehr – und redet dann schließlich doch! Schön in der Scheiße sitzen wir.«
Ich sagte noch immer nichts.
»Wenn Babs gleich sterben würde, ja. Wenn sie schon tot wäre«, sagte Rod. »Aber darauf kann man sich nicht verlassen. Du hörst doch –Krankenhaus. Das ist das Ende für dich, Gigolo. Für Sylvia sowieso.«
Und da sagte ich dann etwas.
»You mother-fucker«, sagte ich, »hast du denn noch immer nicht kapiert, daß du mir jetzt, wo Babs ins Krankenhaus kommt, in den Arsch kriechen mußt bis zum geht nicht weiter? Daß du mir jetzt die Füße küssen, daß du vor mir auf den Knien rumrutschen mußt und mich anflehen, daß ich dir helfe?«
»Du mir, wieso?« fragte er.
»Weil, wenn das mit Babs jetzt rauskommt, wenn sie das wirklich hat, diese Meningitis – und du weißt, was passiert, wenn was schiefgeht bei einer Meningitis –, wenn das also auch nur eine einzige Seele erfährt, dann bist du dort, wo du hergekommen bist, wo du hingehörst! In die älteste, schwärzeste Scheiße, ja!«
»Du doch genauso«, sagte er.
»Eben nicht, Trottel«, sagte ich. »Ich habe keine Ahnung. Ich bin Sylvias große Liebe, sie ist meine. Ihr Agent bist du ! Von der Sauerei, die ihr beide da mit den Tonbändern gedreht habt, habe ich nichts gewußt.«
»Deine Stimme ist auf den Bändern drauf«, sagte er bebend. »Deine verschissene
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