Niemand ist eine Insel (German Edition)
amerikanischer. Möglichst neutral. Mir geben Sie auch einen. Ich bin der Vater. Das sagen Sie allen Ärzten und dem Personal, klar?«
»Sie haben hier überhaupt nichts zu bestimmen!«
»Ich tu es aber! Und Sie werden tun, was ich sage!« Ich fuhr in eine Innentasche meiner Jacke. Zog eine Brille mit dunklen Gläsern hervor. Trug ich immer bei mir. Setzte ich oft genug auf. Jetzt zum Beispiel. »Noch einmal: Ist Ihnen klar, was für eine Patientin Sie da haben?« fragte ich Sigrand, fast ins Ohr. »Und was passiert, wenn …«
»Schon gut«, sagte er, angewidert. »Anderer Name, meinetwegen. Wie wollen Sie heißen?«
»Machen Sie einen Vorschlag.«
»Paul Norton?«
»Okay.«
»Und Babs Norton. Babs muß bleiben! Darauf hört sie!«
»Okay.«
Der Lift hielt.
Wieder ein Gang. Sehr viele Türen, die meisten offen. Büros. Labors. Sprechzimmer. Hier stank es nach Lysol. Hier gab es viele Menschen, Männer und Frauen in Weiß. Sie kamen herbei, mindestens ein Dutzend. Sigrand hatte noch aus dem LE MONDE hier angerufen. Er sagte schnell: »Das ist Monsieur Paul Norton. Seine Tochter Babs.«
»Guten Abend«, sagte ich.
»Aber wieso …«, begann ein junger Arzt.
»Nichts wieso! Norton, kapiert?« fragte Dr. Sigrand.
»Nein«, sagte der junge Arzt.
»Sie werden es schon noch kapieren. Los!«
Wir gingen alle den langen Gang hinunter zu einer Milchglastür, auf der ich las: EINTRITT VERBOTEN!
Ein offenes Büro. Darin ein Fernsehapparat. Männer und Frauen davor. Einer der Sanitäter rief: »Wie weit sind sie, Jacques?«
Der Mann, der Jacques hieß und den ich nicht sehen konnte, antwortete: »Das kann Wochen dauern. Erst mal weigert sich die Regierung, diesen Scheißjaps aus der Santé zu holen und eine Million Dollar zu bezahlen …«
»Dann legen die Japsen alle Geiseln um«, sagte der zweite Sanitäter.
Vorbei die Tür, vorbei Jacques’ Stimme.
Hinter uns rief jemand: »Claude! Claude, komm her! Jetzt haben sie die Santé im Bild!«
Dr. Lévy sagte: »Doktor Sigrand ist der beste Arzt, den es in Paris für so etwas gibt. Was Menschen tun können, werden Doktor Sigrand und seine Kollegen tun.«
Die Rue Cavé, in der Sylvia in Professor Delamares Klinik lag, geht vom Boulevard Richard Wallace ab. Ich fragte: »Wo ist hier eigentlich der Boulevard Wallace?«
»Zwanzig Minuten zu Fuß. Warum?« fragte Dr. Lévy.
»Nur so«, sagte ich. Na fein, dachte ich. Zwanzig Minuten zu Fuß.
Die Nähe, in der sich Mutter und Tochter nun befanden, sollte uns bald schon eine besondere Pointe bescheren. Eine besonders aparte Pointe.
Wir hatten die Milchglastür erreicht. Ein Arzt sperrte auf. Die Bahre mit Babs wurde in den Gang dahinter gerollt. Dr. Sigrand sagte zu mir: »Sie können nicht weiter mitkommen. Das Kind muß sofort untersucht werden. Gründlichst. Was Sie sehen, sind alles Spezialisten, Monsieur Norton. Setzen Sie sich auf die Bank da.«
»Wie lange wird es dauern?« fragte ich.
»Lange«, sagte er und ging hinter den anderen her.
Doktor Lévy und ich standen plötzlich allein.
»Ich muß auch hinein«, sagte der alte Jude.
Ich nickte.
Dr. Lévy sagte: »Lieber Monsieur Ka … Norton, seien Sie ohne Sorge. Es steht geschrieben: ›Wir können in keinen Abgrund fallen außer in den der Hände Gottes.‹« Dann schloß sich die Tür hinter ihm. Auf der Außenseite hatte sie keine Klinke. Nur einen Knopf.
Ich setzte mich auf die weiße Bank.
Ich war plötzlich sehr erschöpft und konnte nicht mehr die Augen offenhalten. Ich saß da, Mantelkragen hochgeschlagen, dunkle Brille auf, allein. Ich weiß, mein Herr Richter, daß ich noch an das dachte, was Babs gesagt hatte, etwas früher, auf der Bahre. Ich dachte: Natürlich gibt es solcheund solche Bären.
Dann war ich eingeschlafen.
32
D as sind Rotfeuerfische«, sagte Rod Bracken. Er sprach kurzatmig vor Begeisterung. »Schau dir das an, Mensch! Hast du schon mal so was Wunderbares gesehen?«
»Nein«, sagte ich.
»Aber ich. Kann sie gar nicht oft genug sehen.« Bracken trat ganz nahe an die Glaswand des Bassins. »Schau dir die Flossen an – wie eine Schleiertänzerin! Herrlich!«
Tatsächlich boten diese purpurn und hell gestreiften Fische mit der bizarren Gestalt und den riesigen Flügelflossen einen faszinierenden Anblick.
»Und giftig sind sie auch!« Bracken war über diese Eigenschaft anscheinend besonders begeistert. Kein Wunder – er liebte ja auch die Piranhas, die ihren Opfern bei lebendigem Leibe das Fleisch
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