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Niemand ist eine Insel (German Edition)

Niemand ist eine Insel (German Edition)

Titel: Niemand ist eine Insel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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Viertelstunde später fuhr eine Ambulanz in den Innenhof des LE MONDE und hielt dicht vor einer Laderampe, vor der sonst die Laster von Lebensmittel- und Getränkefirmen oder von Großwäschereien hielten. Ich wußte sofort, daß die Ambulanz da war, denn Lucien rief mich gleich im Appartement an.
    »Zwei Männer kommen mit einer Bahre«; sagte Lucien. »Ich komme mit.«
    »Okay«, sagte ich.
    Die drei Ärzte, Bracken, Clarissa und Dr. Wolken sahen mich an, als ich den Hörer niederlegte.
    »Es ist soweit«, sagte ich.
    Niemand sprach.
    Dr. Sigrand ging ins Schlafzimmer. Ich sah, wie er Babs noch eine Injektion machte. Sie war leise jammernd eingeschlafen. Nun weinte sie wieder laut. Lautes Weinen auf dem Gang war gerade, was wir jetzt noch brauchten. Im Salon lief nun der Fernsehapparat. Bracken hatte ihn eingeschaltet.
    Es klopfte leise.
    Ich rannte zum Eingang des Appartements und öffnete. Zwei Sanitäter, Mäntel über den weißen Kitteln, und der Nachtportier Lucien kamen herein.
    Die Sanitäter trugen eine Bahre und Decken.
    »Da drüben«, sagte ich und wies zum Schlafzimmer. Die beiden Sanitäter eilten weiter. »Danke, Monsieur Lucien«, sagte ich. Er hatte dafür gesorgt, daß niemand im Hotel etwas davon wußte, was nun mit Babs geschah – nicht einmal sein Kollege Perrotin. Ich hatte Lucien gesagt, am Vormittag würde ich mit seinem Chef sprechen. Er war ein sehr alter, sehr weiser Portier eines sehr alten, sehr guten Grandhotels.
    »Viele Gäste sind nun wach, Monsieur«, sagte Lucien. »Sie wurden angerufen, sie sitzen vor den Fernsehapparaten. Ich nehmean, jeder, der in Paris jetzt nicht schläft oder dringendst arbeiten muß, sitzt vor einem Fernsehapparat.«
    »Was für ein Glück wir haben«, sagte ich.
    »Wie meinen Sie, Monsieur?«
    »Nichts«, sagte ich und ging ins Schlafzimmer.
    Die Sanitäter hatten Babs auf die Bahre gelegt, zugedeckt und schnallten sie gerade fest. Sie weinte laut, dann wimmerte sie, dann holte sie rasselnd Atem. Dann sagte sie etwas.
    »Was hat sie gesagt?« fragte ich Dr. Lévy, der mit mir gekommen war. »Ich habe es nicht verstanden.«
    Babs sagte wieder etwas, dann greinte sie.
    »Bären«, sagte Dr. Sigrand, der den Abtransport leitete.
    »Was Bären?«
    »Sie hat etwas von Bären gesagt.«
    »Was von Bären?«
    »Habe ich nicht verstanden. Können wir?«
    Die Sanitäter nickten.
    »Dann los!«
    Die Bahre wurde hochgehoben.
    »Vorsichtig«, sagte Dr. Sigrand. »Ganz vorsichtig.«
    Sie trugen Babs in den Salon hinaus. Da weinte jetzt wieder Clarissa. Auf dem Fernsehschirm sah man eine breite Straße und ein hohes Gebäude. Am unteren Bildrand erschien eine Schrift: DIREKT AUS DEN HAAG
    »… die neun Geiseln und die drei Männer des Kommandos befinden sich in der vierten Etage …«
    Die Kamera zoomte auf eine Fensterreihe zu. Es war aber alles sehr dunkel und verschwommen.
    Die Ärzte hatten ihre Hüte, Mäntel und Taschen genommen. Ich glitt in die Ärmel meines Mantels.
    »Ihr bleibt alle hier«, sagte ich. »Ich fahre mit. Clarissa und Herr Doktor Wolken, gehen Sie schlafen, bitte.«
    »Nein!« schluchzte Clarissa.
    »Ich kann jetzt nicht schlafen«, sagte Dr. Wolken mit gesenktem Kopf. Und dienerte.
    »Dann bleibt auf«, sagte ich. »Rod, du bleibst ständig neben dem Telefon.«
    »Klar, Phil«, sagte der. Nach unserer kleinen Auseinandersetzung war er plötzlich ganz nüchtern und trank auch nicht mehr. Er sah aus, als sei er in der letzten Stunde um zehn Jahre gealtert. Ich sah vermutlich nicht viel anders aus.
    Jetzt fiel die Appartementtür hinter mir zu. Wir waren nun auf dem leeren Gang. Dem Gang mit den vielen Schuhen. Wenn jetzt noch jemand heimkam! Wenn jetzt noch jemand Schuhe vor seine Türe stellte! Wenn ein Etagenkellner gerufen wurde …
    Die Sanitäter eilten, schnell und elastisch wie Katzen, den Gang hinab. Ich hatte Mühe, ihnen zu folgen. Ich hörte Männerstimmen. Es dauerte Sekunden, bis ich bemerkte, daß es immer dieselben Männerstimmen waren. Sie kamen aus Zimmern, in denen die Gäste ihre Fernsehapparate zu laut eingestellt hatten.
    Dann erreichten wir einen Lastenaufzug. In ihm hatten wir alle bequem Platz. Der Lift fuhr langsam abwärts.
    »Bären«, sagte Babs. »Gibt natürlich solche und solche Bären.«

31
    D as war eine große Ambulanz. Die Träger hatten die Bahre festgezurrt. Die drei Ärzte und ich saßen vor ihr. Die Ambulanz fuhr sehr schnell. Babs wimmerte. Sigrand fühlte ihren Puls, horchte sie mit einem

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