Niemand ist ohne Schuld - Dark village ; 3
Benedicte.
Niemand fragte, was sie vorhatte, und Vilde war erleichtert. Dabei hätte sie es ruhig erzählen können. Sie wollte sich mit Charlene bei Burger King treffen. Sie hatten sich auf einen Milkshake verabredet. Charlene liebte Milkshakes â und Hamburger und Pommes auch, wenn man ehrlich war.
Erst hatte Charlene vorgeschlagen, Vildes kleinen Bruder mitzunehmen, aber Vilde hatte sie überredet, Yngve für ein paar Stunden allein zu Hause zu lassen.
âNur wir beideâ, hatte Vilde beharrlich gefordert. âKönnen wir nicht ein bisschen reden?â
âWell, of course, sure.â Charlene hatte sie besorgt angesehen. âBut really, you should talk to somebody. You know, somebody who can help you, âcause I donât know anything â¦â
âPleaseâ, hatte Vilde gesagt, âich will keine Hilfe von irgendjemandem. Du darfst es nicht weitersagen. Ich brauche keine Hilfe.â
âBut you have to promise ⦠You wonât do it again, ever.â
âKann ich nicht mit dir reden? Nur wir beide?â
âSureâ, hatte Charlene gesagt. âOf course.â
Und jetzt saÃen sie an einem Vierertisch bei Burger King und sahen sich an. Vilde hatte nur einen kleinen Milkshake gekauft, sie hatte keinen Hunger oder Durst. Charlene hatte sich anfangs auch nur einen Milkshake bestellt, aber dann hatte sie es sich anders überlegt und noch einen riesenhaften Burger dazugenommen. Zwischen den einzelnen Bissen stöhnte sie: âI tell you ⦠Wilde. This is ⦠you know, really ⦠this is ⦠the taste of America.â
Vilde lachte. Zurzeit war Charlene der einzige Mensch auf der Welt, in dessen Gegenwart sie sich ein winziges bisschen besser fühlte. Ãber sie und mit ihr konnte sie sogar lachen â ohne dass es vorgetäuscht war.
Mit jeder Minute, die verstrich, wurden Vildes Blicke intensiver. Manchmal kamen sich ihre Hände auf dem Tisch so nah, dass sie sich beinahe berührten. Es war nicht leicht, so zu tun, als wäre nichts, und Vilde fragte sich, was Charlene wohl tun würde, wenn ihr ein Licht aufging. Was würde sie sagen, wenn sie alles über Trine und Vilde und ihre Gefühle füreinander und auch über Vildes aktuelle Gefühle für sie, Charlene, erfahren würde?
Verdammt, mit einer Lesbe will ich nichts zu tun haben? Oder: Wie kannst du mich anhimmeln, wo das Mädchen, in das du verliebt warst, gerade gestorben ist? Hast du denn kein Schamgefühl? What are you, some kind of fucking weirdo?
Vilde senkte den Blick. Sie befeuchtete sich die Lippen und fasste sich abwesend ins Haar. Plötzlich wusste sie, dass es immer so sein würde. Sie war, wie sie war, und es würde nie leicht sein.
2
Charlene sorgte dafür, dass das Gespräch locker flockig dahinplätscherte. Sie war sich im Klaren darüber, dass sie früher oder später über die Ereignisse von neulich sprechen mussten, aber sie hatte den Eindruck, dass Vilde es genoss, einfach nur ein bisschen mit ihr zu chillen. Hin und wieder leuchtete ihr Gesicht auf, und ihr Lächeln zeigte, wie hübsch sie eigentlich war. Eine weiÃe Indianerin mit hohen Wangenknochen, breitem Mund und tiefen, dunklen Augen. Ganz anders als an dem Abend, als sie so blass und ängstlich und einsam vor ihr gestanden hatte. Charlene hatte sich fast zu Tode erschreckt. Shitless, scared the crap out of me .
Es war schon spät gewesen. Charlene war in ihrem Zimmer im ersten Stock. Es war dunkel und in der Luft lag leichter Nieselregen. Charlene sah aus dem Fenster und dachte, wie seltsam es war, dass die Tage so warm und schön, die Nächte aber so kühl und fremd waren.
Sie mochte den Herbst nicht. Wenn die Sonne verschwand und die Welt blaugrau und die Luft kalt wurde, musste sie an einen Krankenhausflur denken, an Ewigkeiten, die angefüllt waren von einem Nichts, während man vergeblich darauf wartete, dass etwas passierte.
Was war das?
Sie richtete sich auf. Sie hatte etwas gehört, direkt vor der Tür. Oder doch nicht? Sie lauschte. Hatte sie sich vertan? Nein, da war es wieder. Ein seltsames, ungewohntes Geräusch. Eine Art Kratzen, ein Schaben auf Holz.
Dann klopfte es. Zwei Mal, laut und nachdrücklich. Als ob jemand mit der ganzen Handfläche gegen die Tür schlug.
Charlene zögerte. Irgendwas war hier total schiefgelaufen. Sie konnte nicht sagen, woher dieses Gefühl kam, aber sie
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