Niemand kennt mich so wie du
abgehauen.»
«Nein», widersprach sie.
«Doch.» Er nickte. «In unserer letzten Nacht habe ich dir gesagt, dass ich dich liebe. Du hast mir prustend ins Gesicht gelacht. Es hat sich angefühlt, als würdest du mich erdolchen.»
«Das wollte ich nicht. Ich war nervös und betrunken und hatte Angst.»
«Angst wovor?»
«Weiß ich nicht. Vor dir? Vor der Liebe? Davor, wegzugehen? Ich war einfach noch nicht so weit.»
«Billy hat es mir erzählt», sagte er.
«Dachte ich mir schon», antwortete sie.
«Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, wäre ich schlauer.»
«Ich möchte nicht darüber sprechen», sagte sie mit Nachdruck, und er wusste, dass sie es ernst meinte.
Er nickte traurig. Sie hatten nie über das gesprochen, was in jener Nacht geschehen war, und sie würden es auch nie tun. Schweigend lagen sie da. Er hielt ihre Hand. Ihm standen Tränen in den Augen. Sie schürzte die Lippen, und er wischte eine einzelne Träne weg. Sie sahen sich an und begannen ein stummes Gespräch, ohne ein einziges Wort zu sagen.
Gegen zehn Uhr bekamen sie Hunger, doch sie hatten beide keine Lust drauf, sich irgendwas ins Haus kommen zu lassen. Eve rief in einem Bistro um die Ecke an, und ihr wurde unter der Voraussetzung ein Tisch zugesagt, dass sie es schafften, bis halb elf ihre Bestellung aufzugeben. Sie sprangen unter die Dusche, zogen sich an und beschlossen, zu Fuß zu gehen. Der Abend war mild, und außerdem konnten sie so zum Essen etwas Wein trinken. Sie gingen die schmale Straße entlang, die von Eves Haus an den Klippen zur Stadt führte. Es war still und dunkel. Sie waren allein und in ihrer eigenen Welt gefangen. Wann immer sich in der Steinmauer zwischen der Straße und den Feldern eine Nische auftat, blieben sie stehen. Er zog Eve in seine Arme, sie küssten sich, berührten sich, hielten einander fest und küssten sich wieder.
«Wir kommen zu spät», sagte sie.
«Ich wünschte, wir könnten einfach für immer hier und jetzt stehen bleiben», antwortete er und streichelte ihre Wange.
«Es wird Zeit», sagte sie, zog ihn von der Mauer weg, und Hand in Hand setzten sie ihren Weg fort. Er wirkte nachdenklich, und sie spürte, wie seine Gedanken sich von ihr zurückzogen, zurück zu seinem Leben und zu seiner Frau. «Verlass mich noch nicht», sagte sie, und er lächelte.
«Ich bin hier», antwortete er.
Der Wagen kam direkt auf sie zu. Eve sah die Scheinwerfer, ohne etwas zu hören. Plötzlich knickten ihr die Beine weg, und Bens Hand wurde von ihrer losgerissen. Sie blieb bei Bewusstsein, doch es wirkte alles völlig surreal, wie ein schöner Traum, der sich auf einen Schlag in einen Albtraum verwandelt. Eben war sie noch in Bens Anblick versunken, und eine Sekunde später saß sie auf dem Beifahrersitz eines fremden Autos, und ihre gebrochenen Beine ragten durch die zerborstene Windschutzscheibe ins Freie. Ihre Schulter fühlte sich seltsam an. Sie wagte einen Blick. Es sah aus, als wäre ihr gesamter Schulterknochen irgendwo verschwunden. Sie konnte den Arm nicht bewegen. Sie lenkte den Blick von ihrer Schulter weg zu den verdrehten Beinen, sah auf die Straße hinaus und nach links zu dem Betrunkenen hinüber, der hinter dem Lenkrad saß. Sie hatte seine Whiskeyfahne gerochen, ehe sie ihn sah. Sie musste sich sehr konzentrieren. Er schlingerte kreuz und quer über die Straße, und ihr zerschmetterter Körper schaukelte bei jedem Schlingern, bei jeder Unebenheit mit. Der Mann murmelte vor sich hin, ohne Eve zu beachten, als wäre sie überhaupt nicht da. Wo ist Ben? Sie versuchte, sich umzudrehen und einen Blick auf den Rücksitz zu werfen, um zu sehen, ob er vielleicht dort war, doch sie konnte sich offensichtlich nicht bewegen. Wo ist Ben? Sie versuchte zu sprechen, aber es gelang ihr nicht, Verstand und Mund in Einklang zu bringen. Verzweifelt versuchte sie, ihre Stimme wiederzufinden. Sie konzentrierte sich mit aller Macht darauf, sich verständlich zu machen.
Sie hörte sich selbst flüstern. «Wo ist Ben?»
Der Mann antwortete nicht und schaltete stattdessen das Radio ein. Eves Herz klopfte so laut, dass es ihr in den Ohren dröhnte. Sie spürte immer noch keine Schmerzen, doch der Anblick ihrer verdrehten Beine, die direkt vor ihr auf die Motorhaube des Wagens hinausragten, sagte ihr, dass der Schmerz kommen würde. Sie erinnerte sich an das, was ihre Yogalehrerin ihr über Atmung und Kontrolle beigebracht hatte. Also holte sie tief Luft, atmete langsam aus und wiederholte im Geiste ein
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