Niemand lebt von seinen Träumen
kniff dem Mädchen ein Auge zu. Dann ging er durch eine Klapptür der Theke und verschwand mit Frank Barron in dem Privatbüro.
Dicke Polstersessel, Neonlicht, getäfelte Wände, ein riesiger Schreibtisch mit Mikrofon und Haustelefon und ein langer schlaksiger Mann in einer Texasjacke empfingen die Besucher.
Dr. Yenkins stellte Frank Barron vor und ließ sich dann in einen der tiefen Sessel fallen.
»Es handelt sich um einen komplizierten Fall, Bill«, sagte er reichlich familiär. »Sie müssen uns ein Mädchen in die Staaten holen.«
»Okay.« Bill Bluet nickte und setzte sich hinter seinen Schreibtisch. »Aus England?«
»No. Aus Germany.«
Bill stand auf und trat vor Dr. Yenkins. »Netter Witz, Yenkins. Aber meine Zeit ist kostbar. Für Witze bin ich ab acht Uhr im Club zu haben …«
Dr. Yenkins schüttelte den Kopf, als wolle er die Antwort Bill Bluets abschütteln.
»Sie verstehen mich nicht richtig, Bill. Es ist mir ernst: Sie sollen ein Mädchen aus Deutschland hierher holen. Es ist die Braut meines jungen Freundes hier. Die beiden wollen heiraten! Die Einwandererquote ist aber erfüllt. Und die beiden lieben sich so, daß sie keine Zeit mehr haben und nicht bis Ende 1951 warten wollen! Mensch, Bill – da muß man ihnen doch helfen!«
Bill Bluet war im Laufe seiner Berufspraxis allerhand gewöhnt, aber was er nun in der folgenden Viertelstunde von Yenkins in aller Deutlichkeit erzählt bekam, war das Verrückteste, was ihm in seiner zehnjährigen Arbeitszeit als Vermittler zu Ohren gekommen war. Ein Mädchen einfach rüberholen? Weil es einen deutschen Ingenieur heiraten will? Unter Umgehung der Auswanderungsbestimmungen? Bill Bluet begann zu schwitzen. Es war das sicherste Zeichen, daß ihm der Fall naheging.
»Sie haben Optimismus, Doc«, meinte er sarkastisch. »Ich bin kein Zauberer, der hokuspokus ein nettes Girl in die Staaten zaubert. Auch ich habe mich Bestimmungen zu unterwerfen.«
»Die Sie – wenn Sie es können – mit größter Freude übertreten«, sagte Dr. Yenkins fröhlich.
»Sie sind ein Aas, Doc«, meinte Bill und lächelte zurück. »Was ist denn die nette kleine Braut von Beruf?«
»Alles!«
»Sie ist Studentin der Kunstgeschichte«, unterbrach Frank Barron Dr. Yenkins. »Ich hab' mir schon gedacht, daß da nichts zu machen ist …«
»Kunst? Ein ganz faules Pflaster! Tänzerinnen und solche, die sich dafür halten, haben wir genug, und was bildende Kunst anbelangt«, Bill Bluet schüttelte den Kopf, »da ist es ganz aussichtslos. Was wir brauchen, sind Farmarbeiterinnen, aber die holen wir nicht aus Europa!«
»Wie wäre es mit Babyschwester?« Yenkins rauchte eine Zigarette und blies den Rauch in dichten Kringeln gegen die Decke.
»Als Babysitter, meinen Sie?« Bill Bluet kratzte sich den Kopf. »Das ist kein lebenswichtiger Beruf, der unter das Gesetz der Einwanderung fällt. Aber vielleicht könnte man …« Sein Gesicht leuchtete auf. Mit schnellen Schritten ging er zu seinem Tischmikrofon und drückte auf einen Knopf an der Schalttafel. Eine blecherne Stimme meldete sich.
»Hören Sie, Stoke«, sagte Bluet laut. »Sehen Sie doch mal in der Kulturliste nach, ob man irgendwo ein Mädchen braucht! Bibliothekarin, wissenschaftliche Assistentin, Museumspflegerin oder kunsthistorische Hilfe. Möglichst an staatlichen Instituten – aber eventuell auch in privaten Stellungen.«
Man hörte ein Rascheln in dem Lautsprecher. Gespannt beugten sich Yenkins und Frank Barron vor. Wenn jetzt die Stimme aus dem Lautsprecher sprach, entschied sie über Erfolg des Unternehmens oder weiteres Warten auf das Glück.
Die Zigarette in Franks Hand zitterte. Susanne, dachte er plötzlich. Wenn das Schicksal es gut mit uns meint und uns zusammenkommen lassen will, dann sagt die Stimme gleich ja.
Ein Räuspern ließ ihn aufblicken.
»Da ist etwas, Chef«, sagte die Stimme. »Ich schicke Ihnen die Anfrage gleich rüber …«
»Na also«, meinte Bill Bluet und stellte das Mikrofon ab.
Erschöpft ließ sich Frank Barron in den Sessel zurücksinken. Jetzt erst merkte er, daß ihm der Schweiß auf der Stirn stand. Sein Gesicht war bleich und eingefallen.
Die Würfel sind gefallen, durchfuhr es ihn. Susanne wird eine Chance bekommen! Ich werde sie sehen können, wir werden eine Zukunft haben, wir werden uns lieben dürfen.
Die Stimme hatte ja gesagt …
Die Stimme des Schicksals?
Mit einem schwachen Lächeln wandte er sich an Dr. Yenkins.
»Das vergesse ich dir nie«, sagte er leise
Weitere Kostenlose Bücher