Niewinter 01 - Gauntlgrym
Begleiter antworten konnte. Der Mann war zu dumm, die Beleidigung zu verstehen. »Was hättest du sonst in einer Bibliothek verloren?«, fragte sie und verdrehte angewidert die Augen, als er sie sichtlich verwirrt ansah.
»Verspotte mich nicht, Herrin«, warnte der Krieger.
Die Frau warf ihm einen scharfen Blick zu. »Und warum nicht?«, fragte sie. »Erschlägst du mich sonst mit deinem Riesenschwert?«
Themerelis funkelte sie wütend an, was der Magierin aus Tay jedoch nur ein lautes Lachen entlockte.
»Ich ziehe andere Waffen vor«, gurrte sie und strich mit einer Hand über Themerelis’ starken Arm. Der Mann wollte sich ihr nähern, doch sie hob mahnend die Handfläche.
»Wenn du den Kampf gewinnst«, erklärte sie.
»Sie brechen noch heute auf«, erwiderte Themerelis.
»Dann an die Arbeit.« Mit einem leichten Schubs nach hinten schickte sie ihn fort.
Themerelis schnaubte verärgert, drehte sich um und stürmte durch die Bäume den Berg hinauf auf das Burgtor zu.
Sylora sah ihm nach. Sie wusste, warum er es so eilig hatte, zu der vorsichtigen, gefährlichen Dahlia zu gelangen, und sie hätte ihn gern dafür gehasst oder gar umgebracht, doch sie konnte es dem jungen Mann kaum verübeln. Zornig kniff sie die Augen zusammen. Wie sehr sie Dahlia Sin’felle los sein wollte!
»Solche Gedanken stehen dir nicht, meine Hübsche«, erklang eine vertraute Stimme aus dem Todesring heraus. Selbst wenn sie die Stimme nicht erkannt hätte, hätte nur eine Kreatur es gewagt, einen so frischen Ring zu betreten.
»Warum duldest du sie?«, fragte Sylora, die sich der wabernden Wand aufgewirbelter Asche zudrehte, welche den Umkreis des nekromantischen Kraftorts markierte. Durch den düsteren Schleier war Szass Tam nicht zu sehen, doch sie fühlte seine Gegenwart wie einen frostigen Windstoß im Winter, der peitschende Eiskristalle mit sich bringt.
»Sie ist noch ein Kind«, antwortete Szass Tam. »Sie kämpft noch mit der Etikette von Tay.«
»Sie ist schon sechs Jahre hier«, schimpfte die Frau.
Szass Tams keckerndes Gelächter schien sie zu verspotten. »Sie führt Kozahs Nadel, und das ist keine Kleinigkeit.«
»Der Stabflegel.« Sylora nickte verstimmt. »Eine Waffe. Einfach eine Waffe.«
»Für den, der sie zu spüren bekommt, nicht so einfach.«
»Es ist bloß eine Waffe, ohne die Schönheit der reinen Zauberkunst, ohne die Macht des Geistes.«
»Mehr als das«, flüsterte Szass Tam, aber Sylora ignorierte ihn und fuhr fort.
»Säbelgerassel und Angeberei«, schimpfte sie. »Das ganze Getue und Herumgehopse und Schläge, denen ein kleines Kind ausweichen kann.«
»Ich weiß von sieben Opfern«, erinnerte sie der Lich, »darunter drei von beträchtlichem Ruf. Wenn ich sie nicht in meiner bevorzugten Form zu mir rufen könnte, würde ich befürchten, Lady Dahlia könnte meine Reihen zu rasch lichten.« Bei seinem beiläufigen Hinweis darauf, in welcher Form er seine Toten wiederbelebte, lief Sylora ein eisiger Schauer über den ohnehin schon kalten Rücken.
»Das war keine große Kunst«, erklärte Sylora. »Sie hat sie alle dazu gebracht, sich eine Blöße zu geben. Ihre Jugend und ihre Schönheit haben sie genarrt, aber jetzt weiß ich es. Jetzt wissen wir alle Bescheid.«
»Auch Lady Cahdamine?«, fragte Szass Tam. Sylora zuckte zusammen. Cahdamine war ihre Waffenschwester gewesen, wenn auch keine wahre Freundin. Sie hatten viele Abenteuer miteinander erlebt, auch die Säuberung des Landes für den Todesring, vor dem sie gerade stand, von den dort ansässigen Bauern. Das heißt, sie hatten das Land von den Seelen der Bauern befreit, denn ihr faulendes Fleisch hatte den Ring genährt. Während dieser schönen Zeiten vor drei Jahren hatte Cahdamine oft von Lady Dahlia gesprochen, die sie unter ihre Fittiche genommen hatte, um sie in die Künste des Fleisches und des Krieges einzuführen.
Hatte Cahdamine Dahlia unterschätzt? Hatte ihre Arroganz sie blind für die Gefahr gemacht, die von der herzlosen Elfe ausging?
Cahdamine war der mittlere Diamant in Dahlias linkem Ohr, der vierte von sieben. Sylora wusste das, denn sie hatte das symbolische Spielchen der Elfe durchschaut. Und im rechten Ohr trug Dahlia gegenwärtig zwei Stecker. Der eine Liebhaber war natürlich Dor’crae, der andere – Sylora blickte zur Burg hinauf, in deren Richtung Themerelis verschwunden war.
»Du wirst sie die nächsten Monate, vielleicht gar Jahre, nicht hier ertragen müssen«, bemerkte Szass Tam, als hätte er ihre
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