Niewinter 01 - Gauntlgrym
nicht, sondern ging weiter zum Wagen, um sich mit den anderen beiden auf den langen Weg um den See und zurück nach Caer-Dineval zu machen.
Als die Sonne tiefer über dem See stand, ließ ihr weißes Licht ein Stück Knochen aufblitzen – einen geschnitzten Fischknochen in Form einer Frau, die einen Zauberbogen hielt.
Den Bogen, den Drizzt Do’Urden auf dem Rücken trug.
Die Luft war ungewöhnlich kalt für die Jahreszeit, und im Nordwesten braute sich ein Sturm zusammen, als Drizzt an diesem Morgen Caer-Dineval verließ. Das Wetter würde bald umschlagen. Er sah sich nach dem fernen Gipfel von Kelvins Steinhügel um und überlegte, ob er nicht noch einen Tag in der Stadt bleiben sollte, bis der Sturm vorbei war.
Dann aber lachte Drizzt über seine eigene Feigheit, die nichts mit dem Wetter zu tun hatte. Er wollte Bruenor einfach nicht gestehen, dass er nichts, überhaupt nichts gefunden hatte. Natürlich wusste er, dass er nicht verweilen sollte. Der Herbst neigte sich dem Ende zu. In den nächsten Tagen würde der erste Schnee durch das Eiswindtal fegen und den einzigen Pass nach Süden versperren.
Auf dem Felsen zwischen dem einladenden Gasthaus der Stadt und der alten Burg der Familie Dinev hob der Drow seinen Einhorn-Anhänger an die Lippen und blies in das Horn. Gleich darauf sah er Andahar als winzigen weißen Fleck, der rasch näher kam.
Anfangs wirkte sein Ross kaum größer als eine Faust, doch mit jedem Satz über die Kluft zwischen den Dimensionen verdoppelte sich seine Größe. Im Nu trabte das mächtige Wesen zu Drizzt und blieb vor ihm stehen. Andahar scharrte mit einem Huf und schüttelte den starken Hals, wobei seine weiße Mähne ungezügelt aufwallte.
Drizzt hörte das aufgeregte Geflüster der Torwachen, sah sich jedoch nicht nach ihnen um. Ihre Reaktion überraschte ihn nicht. Der erste Anblick von Andahar rief regelmäßig ehrfürchtiges Staunen hervor; sein prächtiges Zaumzeug glitzerte vor Glöckchen und Juwelen.
Drizzt griff in die Einhornmähne und schwang sich in den Sattel. Dann grüßte er die Gaffer am Tor, ehe er das Tier nach Norden lenkte und in Richtung von Kelvins Steinhügel davonstob.
Andahar war wahrlich ein wunderbares Geschenk gewesen, dachte der Drow nicht zum ersten Mal. Der Rat von Silbrigmond hatte ihm das Tier zum Dank für seine Leistungen als Krieger und Diplomat im Dritten Ork-Krieg zugesprochen.
Ihm pfiff der Wind um die Ohren, während Andahar Meile um Meile hinter sich brachte, doch ihm war nicht kalt, weil die breiten Muskeln des Einhorns ihn wärmten. Seine Haare und sein Mantel flatterten hinter ihm. Er rief die Glöckchen auf, seinen Ritt mit ihrem Lied zu begleiten, und sie gehorchten seinem Befehl. Auf Andahar vertrauend, ließ Drizzt seine Gedanken zu den angenehmen Erinnerungen an die alten Freunde schweifen. Natürlich enttäuschte es ihn, keine Spur von der geheimnisvollen Waldfee oder dem eigentümlichen Halbling gefunden zu haben. Er war enttäuscht, weil sich wieder einmal bestätigt hatte, was er längst wusste.
Doch ihm blieb die Erinnerung, und an Tagen wie diesem, wenn er allein unterwegs war, ließ er sie hochkommen und lächelte unwillkürlich bei den Gedanken an jenes Leben von einst.
Jenes Leben, das er eigentlich vergessen sollte.
Jenes Leben, das er nicht vergessen konnte.
Die Sonne stand noch hoch am Himmel, als er Andahar entließ und die Zwergentunnel betrat. Früher hatte hier die Sippe Heldenhammer gelebt, und die wenigen Dutzend Zwerge, die zurückgeblieben waren, betrachteten sich immer noch als Teil dieses Clans. Sie wussten von Drizzt, obwohl nur wenige dem Drow je begegnet waren. Sie kannten auch Pwent und dessen legendäre Knochenbrecher-Brigade und hießen Reisende aus Mithril-Halle bereitwillig willkommen. Auch den, der sich als entfernten Cousin des verstorbenen Königs Bruenor Heldenhammer zu erkennen gab.
»Auf König Connerad Starkamboss Heldenhammer!«, grüßte der Anführer der Heldenhammers von Kelvins Steinhügel, Stokkel Silberbach, als Drizzt den Bereich der großen Schmiede betrat, und hob seinen Krug. Dabei gab er einem jüngeren Zwerg einen Wink, der Drizzt daraufhin sofort etwas zu trinken brachte.
»Ich hoffe, es geht ihm gut«, erwiderte Drizzt, den es nicht überraschte, dass Connerad inzwischen seinen Vater Banak abgelöst hatte. »Gutes Blut.«
»Du hast mit seinem Vater Seite an Seite gekämpft.«
»Viele Male«, bestätigte Drizzt, der nun seinen Krug entgegennahm und einen willkommenen
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