Niewinter 01 - Gauntlgrym
dem solltest du dich unterhalten.«
»Das habe ich«, erwiderte Drizzt, der sich um Ruhe bemühte, denn das hatte er Lathan heute schon ein Dutzend Mal mitgeteilt und am Vortag doppelt so oft. Den Waldläufer, der im südlichen Eiswindtal unter dem Namen Streuner bekannt war, hatte er auf Drängen von Jarlaxle im Jahr zuvor kennen gelernt.
Streuner hatte den Wald genauso beschrieben wie Lathan: ein magischer Ort, an dem eine wunderschöne Fee mit roten Haaren und ein Halbling wohnten, der Halbling in einer Höhle an einem kleinen See. Streuner zufolge hatte aber nur der Zauberer Addadearber den Halbling wirklich zu Gesicht bekommen, und nur Streuner und ein Mann namens Spragan hatten die Frau gesehen, und diese beiden wiederum hatten nicht dasselbe gesehen. Dem Waldläufer war sie vorgekommen wie eine Göttin, die auf einer Sternenleiter tanzte, während sich Spragan laut Streuner nie mehr richtig von seinem Schrecken erholt hatte – was Lathan bestätigte.
Seufzend blickte Drizzt sich an dem geschützten Plätzchen am Ende einer kleinen Bucht zwischen den Klippen um, wo auf dem steinigen Boden nur wenige Bäume standen. Oberhalb der Böschung waren vereinzelt kleine Kiefern zu sehen, wie sie für das Eiswindtal typisch waren.
»Vielleicht war es weiter nördlich«, überlegte Drizzt. »Am steilen Nordostufer des Lac Dinneshere gibt es viele geschützte Stellen.«
Der alte Mann schüttelte nachdrücklich den Kopf. Er deutete auf die Hütte. »Gleich hinter dem Haus«, beharrte er. »Ein anderes gibt es hier nicht. Es war hier. Es ist der richtige Ort. Der Wald war hier.«
»Aber hier ist kein Wald«, sagte Drizzt. »Und kein Hinweis, dass es hier je mehr Wald gab als die paar Bäume.«
»Hab ich ja gleich gesagt«, brummte Lathan.
»Sie sind damals noch einmal zurückgekehrt«, berichtete die Tochter, Tulula. »Und haben danach gesucht. Natürlich haben sie das, und viele andere auch. Streuner war vorher schon oft hier gewesen und ist auch noch etliche Male wiedergekommen, aber er hat den Wald von damals nie wiedergefunden und die Fee und den Halbling auch nicht.«
Drizzt stemmte eine Hand in die Hüfte. Mit zweifelnder Miene sah er sich gründlich um, denn er hätte Bruenor, der gerade mit Pwent und einigen Zwergen in den Tunneln unter dem einsamen Berg bei Kelvins Steinhügel die Höhlen besuchte, in denen die Heldenhammer-Sippe vor der Rückeroberung von Mithril-Halle lange gelebt hatte, so gern etwas mitgebracht, irgendetwas.
Mithril-Halle. Vier Jahrzehnte waren verstrichen, seit sie jenes wundersame Zwergenreich verlassen hatten, nachdem Bruenor auf seine extreme, unwiderrufliche Weise abgedankt hatte. Wie viele Abenteuer hatten die drei seither erlebt, auch mit Nanfoodle, dem Gnom, und Jessa, der Ork-Frau. Der Gedanke an diese beiden, die sich schon vor über zwanzig Jahren von ihnen verabschiedet hatten, entlockte dem Dunkelelfen unwillkürlich ein Lächeln.
Und wieder stand er im Eiswindtal, seiner ersten wahren Heimat, dem Land der Gefährten der Halle, dem Land von Catti-brie, Regis und Wulfgar, dem Land eines Zwergenkönigs im Exil und eines heimatlosen Dunkelelfen auf der Suche – der ewigen Suche – nach einem Ort, an den er gehörte. Was waren sie für eine Truppe gewesen! Was hatten sie nicht alles gemeinsam durchgestanden!
Für Drizzt und Bruenor gehörten diese drei verlorenen Freunde natürlich der Vergangenheit an, und sie hofften schon lange nicht mehr ernsthaft darauf, die verschollenen Seelen von Catti-brie und Regis zu finden oder Wulfgar wiederzutreffen. Denn inzwischen waren fast siebzig Jahre vergangen, also ein Menschenalter, und die drei waren schon damals, in jenen schicksalhaften Tagen, nicht mehr jung gewesen. Gemeinsam mit Pwent, Nanfoodle und Jessa hatten der Dunkelelf und der alte Zwerg das zerklüftete Gelände östlich von Luskan und die Ausläufer des Grats der Welt durchstreift, immer auf der Suche nach Gauntlgrym, der verschollenen Heimat der Zwerge von Delzoun. Tausend Karten hatten sie auf tausend verschiedene Wege und durch hundert tiefe Höhlen gelotst, und die ganze Zeit hatten sie nur an Gauntlgrym gedacht. Wenn Bruenor und Drizzt in stillen Stunden einmal von Bruenors Adoptivkindern und ihrem Halblingfreund gesprochen hatten, so war es immer nur um die guten Erinnerungen gegangen.
Vor ein paar Jahren jedoch hatte eine unerwartete Begegnung mit Jarlaxle in Luskan große Hoffnungen geweckt und viel Schmerz erzeugt. Unmittelbar nach dem Verlust von Catti-brie
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