Niewinter 4: Die letzte Grenze
Firmament – nein, eigentlich redeten sie gar nicht, sondern saßen die meiste Zeit nur da und ließen sich vom meditativen Funkeln des Nachthimmels verschlucken.
Einige Male war Dahlia näher gerückt, um ihr Bedürfnis nach mehr Intimität zu zeigen, aber diesen Gedanken hatte Drizzt nie mehr weitergesponnen. Er wollte es nicht, obwohl ihm der Grund dafür unklar war. Schließlich wollte er ihr wirklich keinen Kummer bereiten, und ihre Reize waren nicht zu leugnen.
Zu Drizzts Überraschung ging es gar nicht darum, dass Dahlia ihn mit Artemis Entreri betrogen hatte. Sein Problem hatte mehr mit der Philosophie von Innovindil zu tun als mit Dahlia, und natürlich auch mehr mit ihm selbst.
Dahlia ging nicht zu Entreri, soweit er wusste, aber das tröstete Drizzt nicht, sondern war ihm gegenwärtig praktisch gleichgültig. Die Elfe war bis ins Mark verletzt und konzentrierte sich ganz auf Effron.
Ja, Effron, und inzwischen wussten alle, dass Dahlia ihm die Freiheit angeboten hatte. Dennoch blieb er an Bord der Elritze , wenn auch nicht mehr unter ständiger Bewachung im Laderaum. Er kam nicht oft an Deck, was angesichts seiner Jahre im trüben Zwielicht des Schattenreichs verständlich war, aber es hinderte ihn auch niemand daran.
Ambergris und Afafrenfere behielten ihn zwar weiterhin im Auge, doch inzwischen war allen klar, dass eine schärfere Aufsicht überflüssig war.
Dahlia ging jeden Tag zu ihm. Ob sie dabei redeten oder stritten oder einander anfauchten oder einfach zusammensaßen, wussten nur sie selbst, und Drizzt schnitt dieses Thema nie an. Dennoch beobachtete er sie jeden Tag, wenn sie eilig auf die hintere Luke zuhielt und im Laderaum verschwand, und sah noch genauer hin, wenn sie den jungen Hexer verließ, meist viele Stunden später.
Drizzt hatte den Eindruck, dass sie ihren Frieden fand.
Vielleicht war es nur das, was er ihr und Effron wünschte, wenn er darüber nachdachte.
Er betete inständig, dass er die Situation richtig einschätzte.
Nach einer dieser Begegnungen, als sich das Schiff bereits nördlich von Baldurs Tor befand und wegen des drohenden Winters nun direkter auf Luskan zuhielt, kamen Effron und Dahlia zusammen nach oben.
Schon dieser Umstand hätte Drizzt aufmerken lassen, denn es war das erste Mal in den zwei Monaten ihrer Reise. Die beiden stellten sich neben die Kapitänskajüte, und Dahlia gab Drizzt ein Zeichen nach unten zu kommen.
Der Drow vergewisserte sich, dass kein Segel am Horizont zu sehen war, und ließ sich herunter. Er merkte, dass Effron ihn ebenso beobachtete wie Ambergris und Afafrenfere, als er über das Deck zu den beiden ging.
»In der ganzen Zeit, die ich hier bin, hast du deinen Panther nicht mehr gerufen«, sagte Effron.
Drizzt sah ihn fragend an. »Guenhwyvar fühlt sich auf dem Meer nicht besonders wohl«, log er. »Wann immer das Deck sich bewegt, meutert sie.«
»Kein einziges Mal, die ganze Fahrt über.«
Drizzt schluckte und starrte den Tiefling mit zusammengekniffenen Augen an. Hier irrte Effron, denn Drizzt hatte Guenhwyvar viele Male nachts gerufen, wenn auch nie für längere Zeit. Der Panther wirkte inzwischen noch magerer, als wäre er ernsthaft verletzt, ja, als würde die Lebenskraft ihre körperliche Gestalt immer schneller verlassen. »Was weißt du darüber?«, fragte er.
»Sie existiert im Schattenreich, nicht auf der Astralebene«, sagte Effron.
Drizzt riss die Augen auf, und Dahlia und Ambergris, die ganz in der Nähe stand, holten erschrocken Luft.
»Im Haus von Fürst Draygo Quick«, erklärte Effron.
»Sie dient einem Nesser-Fürsten?«, fragte Drizzt zweifelnd.
»Nein«, sagte Effron rasch. »Nur wenn du sie zu dir rufst, denn er sieht durch ihre Augen. Seit Monaten beobachtet er dich durch ihre Augen.«
Drizzt sah Dahlia an, die hilflos mit den Schultern zuckte.
»Warum erzählst du mir das?«
»Weil ich weiß, wo sie ist«, sagte Effron. »Und ich kann dich zu ihr bringen.«
Teil 3
Schatten
Meine Reise von Luskan nach Calimhafen und zurück erwies sich als die eintönigste und dennoch einprägsamste Reise meines Lebens. Weder Stürme noch Piraten machten uns zu schaffen. Das Leben auf der Elritze war nur von den alltäglichen Pflichten geprägt.
Auf emotionaler Ebene allerdings wurde ich im Laufe der Zehntage und Monate Zeuge einer faszinierenden Entwicklung, die von unverhohlenem Hass zu abgrundtiefen Schuldgefühlen und schließlich zu dem inständigen Bedürfnis nach einer Lösung führte, die für eine
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