Nigger Heaven - Roman
Wissen Sie, ich habe seit Jahren keines mehr besucht …« Er schwieg einen Augenblick und schob einen Pilz über seinen Teller. »Ich habe überhaupt ein etwas seltsames Leben geführt …«
Sie sah ihn interessiert an, sagte aber nichts.
»Wie Sie ja sehen, hätte ich von der Hautfarbe her ein Mitglied im Blue Vein Circle werden können. Diese Tatsache führte zu einigen seltsamen Abenteuern. Einen großen Teil meiner Jugend verbrachte ich unter Weißen und verleugnete meine Rasse. Später habe ich mich wieder zu ihr bekannt. Insgesamt ziehe ich sie vor.«
»Davon war ich überzeugt.«
»Das Seltsame ist«, sagte er nachdenklich, »ich bin nie jemandem begegnet, der das genauso empfunden hat wie ich; vielleicht hat niemand meine Erfahrungen gemacht – das Seltsame ist, dass ich, wenn ich mit Weißen zusammen bin, eine weiße Psychologie habe, und eine schwarze Psychologie, wenn ich mit Schwarzen zusammen bin.«
Mary starrte ihn an. »Und Sie sagen, dass Sie noch nie jemanden getroffen haben, dem es ebenso geht?«
»Nicht genau so. Sehen Sie, es geht sogar noch tiefer. Manchmal schwanke ich zerrissen und verwirrt zwischen beiden Identitäten.«
Mary schwieg. Sie blickte sich um. Galva Waldeck unterhielt sich auf Französisch mit Léon Cazique. Gareth Johns und Mrs Sumner diskutierten angeregt.
»Niemand?«, erkundigte sich Mary leise.
»Nun, man weiß ja nie, was andere empfinden. Jedenfalls hat mir nie jemand ein diesbezügliches Geständnis gemacht hat.«
Gareth Johns wandte sich Mary zu, die ein unerklärliches Gefühl der Erleichterung empfand.
»Wir reden über Rosamond Johnsons. Er hat jetzt ein Buch über Spirituals herausgegeben«, erklärte er. »Ich habe es noch nicht gesehen.«
»Mögen Sie Spirituals?«, fragte Mary.
»Ich bin ganz verrückt nach ihnen. Mrs Sumner will, dass ich mir Stand still, Jordan anhöre.«
»Es ist wunderbar«, sagte Mary. »Vor allem, wenn Taylor Gordon es singt.«
»Ich scheine fürchterlich ungebildet zu sein«, seufzte Gareth Johns und wandte sich an Mrs Sumner. »Wer ist …?«
Mary hörte zu, was Léon Cazique auf der anderen Seite des Tisches sprach: »Proust ressemble à un cours d´eau, un vaste fleuve qui, comme le Nil, jaillit dans plusieurs endroits, s´affirmit dans sa course, embrasse des villes et des îles, et finalement se joint à un fleuve énorme et se précipite dans la mer!«
»Nun, ich werde mir das Lied morgen besorgen.« Mary hörte nun wieder Gareth Johns zu. »Sie müssen wissen«, sagte er zögernd, »ich hätte Lust, einen Negerroman zu schreiben.«
Mary lachte. »Das wollen jetzt alle. Sind wir denn so interessant geworden?«
»Der Tag kommt vielleicht«, sagte Dr. Lancaster, »wo vielleicht ein Schwarzer einen Roman über Weiße schreibt.«
»Das wäre sicher nicht schlecht«, meinte Gareth Johns.
»Das gibt es doch schon«, meinte Mary.
»Sie meinen wohl Dumas damit«, schlug Dr. Lancaster vor.
»Oder Puschkin«, steuerte Gareth Johns bei.
»Nein, ich meine damit einen amerikanischen Schwarzen, Charles W. Chesnutt. Er schrieb mehrere Romane aus einer weißen Perspektive.«
»Nie von ihm gehört«, sagte Gareth Johns erstaunt. »Nennen Sie mir doch einige Titel.« Er zog Bleistift und Papier aus der Tasche. Mrs Sumner erhob sich. »Wenn ich bitten darf? Den Kaffee werden wir in der Bibliothek zu uns nehmen.«
In bequemen Sesseln am Kamin, bei Kaffee und später bei Whisky und Soda, ging die Unterhaltung weiter.
»Sie scheinen hier mehr zu lesen als irgendjemand sonst Downtown«, sagte Gareth Johns zu Mary. »Wie finden Sie nur die Zeit dazu?«
»Nun, es ist mein Beruf.«
»Sicher, aber die anderen? Sie sagten mir, dass Aldous Huxley verlangt wird.«
»Ehrlich gesagt, die meisten Leser ziehen A.S.M. Hutchinson vor.«
»Nun, das ist menschlicher. Ich hatte schon Angst, dass die Besucher Ihrer Bücherei allzu vorbildlich wären.«
Es klingelte.
»Das muss Byron, der Sohn von Robert Kasson sein«, bemerkte Mrs Sumner. »Sie kennen doch Robert Kasson aus Philadelphia«, sagte sie zu Galva Waldeck. »Byron ist wie Dick Whittington gerade nach New York gekommen, um sein Glück zu machen.«
»Hoffentlich hat er eine Katze mitgebracht!«, rief Galva.
»Keine Ahnung, aber vielleicht eine Schreibmaschine. Er möchte Schriftsteller werden.«
Marys Hände zitterten, ihr Herz klopfte. In diesem Augenblick öffnete sich die Tür, und er kam herein.
Nachdem man sich bekannt gemacht hatte, wandte er sich sogleich an sie.
»Das
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